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Wer ruiniert die staatliche Post? Großbritannien vor dem härtesten Arbeitskampf seit 25 Jahren

Von Hermann Sileitsch

Analysen

Eine Dauerrezession mit sechs negativen Quartalen in Folge - und die britische Wirtschaft stürzt vor dem wichtigen Weihnachtsgeschäft noch tiefer ins Chaos. Bei der Royal Mail stapeln sich geschätzte 150 Millionen Pakete und Briefe: Die mehr als 350 Jahre alte staatliche Post befand sich am Freitag den zweiten Tag in Streik. Nach 42.000 Mitarbeitern der Verteilzentren legten 78.000 Zusteller ihre Arbeit nieder. Für kommende Woche hat die Gewerkschaft einen dreitägigen Generalstreik angekündigt. Zuletzt hatten die Bergarbeiterstreiks 1985 ähnliche Ausmaße angenommen.


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Der Zorn der Streikenden richtet sich vor allem gegen Post-Chef Adam Crozier: Sie sehen durch die radikalen Einschnitte des Sanierers den Fortbestand der Royal Mail bedroht, fürchten um ihre Jobs und Pensionsansprüche. Post-Mitarbeiter würden zudem mit unmöglichen Arbeits pensen drangsaliert: Ende 2008 wurde Boten angeschafft, ihre Zustellungen mit einer Geschwindigkeit von 4 Meilen pro Stunde zu absolvieren - umgerechnet 6,4 Stundenkilometer, ein forciertes Gehtempo. Bis dahin hatte die Vorgabe 2,4 Meilen gelautet.

Der aktuelle Streit entzündete sich an einer Vereinbarung, die die Royal-Mail-Führung mit der Gewerkschaft (Communication Workers Union) 2007 getroffen hatte: Dieses Abkommen hatte den letzten großen Poststreik beendet, wird heute aber völlig unterschiedlich ausgelegt. Die Geschäftsführung behauptet, die Arbeitnehmervertreter hätten die Notwendigkeit der Modernisierung anerkannt - und dem Jobabbau zugestimmt. Bisher wurden bereits zehntausende Stellen gestrichen. Die Gewerkschafter fordern hingegen weitere Verhandlungen.

Verluste durch Streik

Die britische Post kämpft wie viele andere Postunternehmen auf ihrem Heimmarkt mit großen Herausforderungen: Die Kommunikation via Internet lässt das Aufkommen an Briefsendungen beständig sinken. Zugleich ruft die Liberalisierung Konkurrenten auf den Plan. Seit Anfang 2006 hat die Royal Mail schrittweise ihr Monopol verloren.

Dennoch konnte sie 2008 das beste Geschäftsjahr seit langem verzeichnen: Erstmals seit 20 Jahren schrieben alle Geschäftsbereiche der Royal Mail schwarze Zahlen; der Gewinn verdoppelte sich auf umgerechnet 360 Millionen Euro.

Dennoch warnte Wirtschaftsminister Peter Mandelson vor den Streikfolgen: "Die Post wird in die roten Zahlen abstürzen." Nun soll ein Heer von 30.000 Zeitarbeitern das Schlimmste verhindern. Diese seien keine Streikbrecher, sondern würden lediglich den Arbeitsrückstau aufarbeiten, argumentiert die Royal-Mail-Führung eher scheinheilig.

Premierminister Gordon Brown hält unterdessen unbeirrt an einer Teilprivatisierung fest, bei der bis zu 30 Prozent der Post verkauft werden könnten. Im Sommer hatte er das Vorhaben - nach Widerstand aus der eigenen Labour Party - vorerst von der Agenda genommen. Als Grund wurden "schlechte Marktbedingungen" vorgeschoben.

Kritiker verweisen auf spektakulär gescheiterte Privatisierungen bei britischen Infrastrukturunternehmen. Als plakatives Beispiel gilt die Bahn, die unter der (konservativen) Regierung von John Major privatisiert worden war: Nach dem Börsegang der Netzgesellschaft Railtrack 1996 waren dringend nötige Investitionen in das Schienennetz unterblieben. Nach einer Reihe schwerer Zugunglücke wurde die Privatisierung 2001 teilweise rückgängig gemacht. Ein Teilverkauf der Post hätte nicht gleich tödliche Folgen - abgesehen davon, dass der Arbeitskampf den Exitus der Labour-Regierung beschleunigen könnte.