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Wer schießt, wenn die Polizei Angst hat?

Von Werner Grotte

Analysen

Wer Polizisten kennt, weiß, dass es in der Truppe gehörig gärt: Einerseits soll man Leben beschützen, andererseits wird jeder dienstliche Waffengebrauch nicht nur intern, sondern vor allem medial fast schon automatisch zur Hinrichtung. "Schießwütiger Beamter", "Todesschütze", "Hinrichtung" oder ähnliche Attribute tragen aber nicht dazu bei, den Diensteifer zu beflügeln - im Gegenteil: "Wenns nicht mich direkt bedrohen, lass ich die Waffe stecken oder schau weg", hört man hinter vorgehaltener Hand immer öfter von frustrierten Polizisten.


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Das Mediengetöse nach jedem Polizeischuss hat somit fatale Folgen. Denn tatsächlich "schießwütige" Typen werden in der Regel beim Aufnahmetest zur Polizeischule ausgesiebt - so bitter das für manche ist. Das, was danach in der Ausbildung wieder und wieder geübt wird, hilft in der Praxis nicht immer - wenn man in Sekundenbruchteilen eine Entscheidung fällen muss, die Leben retten, aber auch Leben zerstören kann. Selbst erfahrene Polizeiausbildner und -psychologen gehen vom "Restrisiko Mensch" aus, das in solchen Situationen zum Tragen kommt und das man nicht wegtrainieren kann.

Wer einen anderen erschießt, ist - selbst wenn er musste - oft lebenslang belastet. Auch das lässt sich kaum wegtrainieren. Wird derjenige dann auch noch öffentlich verunglimpft, resigniert er. Die Folgen einer resignierenden oder "wegschauenden" Polizei erleben wir in ersten Ansätzen bereits im multikriminellen Alltag: Vor allem die Zahl der Eigentums-, aber auch Gewaltdelikte nimmt immer mehr zu, besonders gegen Wehrlose (Kinder, alte Leute), aber auch gegen alle, die etwas besitzen. Vielfach mit vorgehaltener Waffe. Dass Gaspistolen echten täuschend ähneln, hat zuletzt einen Trafikräuber das Leben gekostet, weil ihn der Trafikant seinerseits erschoss.

Doch fast 279.000 Österreicher besitzen derzeit eine registrierte Waffe; etwa 119.000 von ihnen dürfen eine solche sogar führen, also mit sich tragen. Und noch weit mehr Leute besitzen unregistrierte Waffen (Schrotflinten, Gewehre), die bis vor kurzem einfach so gekauft werden durften. Allein in Wien, wo es rund 70.000 gemeldete Waffen gibt, schätzt die Polizei den Bestand solcher nicht registrierter Schießprügel auf 160.000. Seitens der EU gibt es zwar eine Richtlinie, die die Erfassung solcher Instrumente bis 2014 vorschreibt, doch weder Innenministerium noch Polizei wissen bis jetzt, wie das bewerkstelligt werden soll.

Bleibt also ein Potenzial mehrerer hunderttausend privater Schusswaffen-Besitzer, die immer mehr Angst um ihr Eigentum haben. Das ist ein Vielfaches dessen, was das Bundesheer in Friedenszeiten unter Waffen hat (ca. 35.000 Mann). Dass derzeit sowohl legale Waffen als auch Waffenpässe kaum zu bekommen sind, ändert an der Problematik nicht viel.

Um diese Zeitbombe nicht zu zünden, muss die Polizei bald wieder einen gesunden Umgang mit ihrer Waffengewalt finden - so paradox das klingt.