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Wer schützt Anleger vor Anlegerschützern?

Von Christian Ortner

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Geldanlage-Produkte von Banken müssen in Deutschland künftig mit einem Papier versehen sein, das Medikamenten von deren Verkäufern schon seit vielen Jahren beigelegt werden muss: ein Beipackzettel mit Hinweisen auf Wirkung, Nebenwirkungen und möglichen Risiken. Gut möglich, dass in Österreich bald Ähnliches verfügt wird. Auch hier ist die Forderung nach mehr "Anlegerschutz" so ritualisiert wie populär.


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Grundsätzlich spricht nichts dagegen, potenziell toxische Produkte der Finanzindustrie ähnlich zu behandeln wie jene der Pharmaindustrie. Das - in der Öffentlichkeit viel zu wenig diskutierte - grundsätzliche Problem dabei ist nur, dass die insgesamt immer intensivere fürsorgliche Betreuung der Anleger durch den Staat tendenziell dazu führen wird, dass deren Risikobewusstsein, hierzulande ohnehin sträflich unterentwickelt, noch mehr verkümmern wird.

Wenn es windige Konstrukteure ebenso windiger Investments mit hohem Verbrauch an Unschuldsvermutungen immer wieder schaffen, tausende Opfer über den Tisch zu ziehen, liegt das nämlich nicht unbedingt primär am unterdimensionierten Anlegerschutz. Sondern zumindest ebenso sehr an der überdimensionierten Naivität und auch Gier vieler Anleger, die an eine weit überdurchschnittliche Rendite in Verbindung mit weit unterdurchschnittlichem Risiko glauben. Dass derzeit eine Verzinsung von 7 Prozent nicht mit der Sicherheit eines Sparbuches zu vereinbaren ist, wollen viel zu viele Anleger noch immer nicht begreifen.

Und sie werden es umso weniger lernen, je stärker der Staat sie vor den Folgen einer derartigen Fehleinschätzung schützt. Erst dieser Tage gab der Oberste Gerichtshof in Wien einem Anleger recht, der zwar unterschrieben hatte, hohe Risiken zu akzeptieren und sich dessen bewusst zu sein, dass ein Totalverlust möglich sei - sich aber von einem absurden Versprechen auf risikolose tolle Rendite in die Irre geführt sah, nachdem bedauerlicherweise das Risiko, nicht aber die Rendite schlagend geworden war. Als ob derartige Renditeversprechen nicht der denkbar kräftigste Warnhinweis wären.

Trifft jemanden, der offenbar allen Ernstes glaubt, hohe Renditen risikofrei zu bekommen, nur weil das die Werbung suggeriert, nicht Mitschuld an seinem Schicksal - zumal er schriftlich versichert, sich der erheblichen Risiken bewusst zu sein? Dieser Logik folgend könnte sich auch ein Jungwähler an der mit "Schwarz macht geil" werbenden Wiener ÖVP juristisch schadlos halten, sollte sich am Wahltag nicht die versprochene geschlechtliche Erregung einstellen.

Wenn Gesetzgeber und Gerichte die Anleger immer mehr behandeln wie nur teilweise zurechnungsfähige Patienten, werden sich diese auch so verhalten. Je mehr Risiken ihnen der Staat scheinbar abnimmt, desto mehr werden sie geneigt sein, auch absurdeste Werbeversprechen der Finanzindustrie für bare Münze zu nehmen. Gut gemeint ist eben auch für den Gesetzgeber das Gegenteil von gut gemacht.