1933 inszenierte Hitler den Selbstmord des Parlaments, in der gegenwärtigen Krise fehlen dafür die Voraussetzungen: totalitäre Massenparteien.
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Am 27. Februar 1933, seinem 29. Amtstag als Reichskanzler, ahnte Adolf Hitler nicht, dass ihm binnen 24 Stunden der "legale Staatsstreich" glücken werde: In der folgenden Nacht ging der Reichstag in Flammen auf und noch am Tatort wurde der kommunistische Brandstifter verhaftet. An nächsten Tag griff Hitler zum politischen Brandbeschleuniger: Mit der Behauptung, dass ein Putsch der KP bevorstehe, bewog er den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, die Notverordnung "zum Schutz von Volk und Reich" zu erlassen, um "hochverräterische Umtriebe" und "kommunistische staatgefährdende Gewaltakte" im Keim zu ersticken. Diese verfassungsgemäße Notverordnung beendete die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, hob das Briefgeheimnis auf, ermächtigte die Polizei, "außerhalb der gesetzlichen Grenzen zu verhaften", und sah "Schutzhaft" für politische Gegner vor. Massenverhaftungen füllten sogleich die "wilden" KZ. Hitlers Kommentar: "Wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht!"
Am 1. Februar hatte Hindenburg den Reichstag aufgelöst, weil ihm die bürgerlichen und nationalistischen Koalitionspartner Hitlers versichert hatten, dass sie den "Führer" völlig unter Kontrolle hätten - eine Fehleinschätzung des Taktikers Hitler im Wahlkampf. Am 3. 2. vereinnahmt Hitler die Heeresleitung in einem Geheimtreffen mit dem Versprechen der Wiederaufrüstung und der Eroberung von Lebensraum im Osten. Am 4. 2. bestimmt sein Erlass, dass Versammlungen und Zeitungen "zum Schutz des deutschen Volkes" verboten werden können. Der "Schießerlass" vom 17.2. gestattet der Polizei den freizügigen Einsatz von Schusswaffen. Am 22. 2. rücken 50.000 Mann der SA und der SS zu "Hilfspolizisten" auf. Am 5. 3. erzielt Hitlers NSDAP bei der Reichstagswahl mit 43,9 Prozent ihr bestes Ergebnis und mit den Rechtsparteien die absolute Mehrheit.
Jetzt zieht Hitler den formaljuristisch "legalen Staatsstreich" durch. Dank Einschüchterung und Verfahrenstricks billigt der Reichstag am 24.März mit 441 gegen 81 Stimmen der SPD das "Ermächtigungsgesetz": Die Regierung übernimmt die Gesetzgebung; sie darf die Verfassung ändern; die Gewaltenteilung fällt. Das NSDAP-Zentralorgan "Völkischer Beobachter" bejubelt diesen Selbstmord des Parlaments: "Der Reichstag übergibt Adolf Hitler die Herrschaft."
80 Jahre später lässt sich dieser Marsch in die totalitäre Katastrophe nur durch die außergewöhnlichen Rahmenbedingungen begreifen: Weltwirtschaftskrise, 6,2 Millionen Arbeitslose ohne soziale Sicherung, "Diktat von Versailles" als Aufhänger für radikalen Nationalismus des rechten Spektrums und eine starke, aggressive KP mit dem Ideal "Weltrevolution", seit 1930 permanenter Straßenkrieg zwischen SA und KP.
In der gegenwärtigen Krise verhindern gefestigte Demokratien so einen Selbstmord der Parlamente. Selbst in Spanien oder Griechenland zieht die "totalitäre Versuchung" nicht, weil ideologische Extremisten keine Massenpartei auf die Beine bringen und demonstrierenden Massen auch nur die Wahl zwischen Pest und Cholera bieten können - noch mehr sparen oder in noch mehr Schulden absaufen, also Gesundhungern oder im Schuldturm enden.