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Oft kommt es ja nicht vor, dass sich kulturelle Ereignisse in Wettquoten wiederfinden. Derzeit ist es wieder so weit. Am heutigen Donnerstag wird der Literaturnobelpreis vergeben. Auf den ersten drei Plätzen der Gambler-Kaffeesieder stehen der kenianische Schriftsteller Ngugi Wa Thiong’o, der Japaner Haruki Murakami und Margaret Atwood. Der Aufstieg der Kanadierin in die Top drei ist so interessant wie ihr Sieg unwahrscheinlich. Er schuldet sich wohl bloß einem günstigen Timing. Ihr dystopischer Roman "The Handmaid’s Tale" wurde kürzlich als Serie verfilmt, die einen Nerv der Zeit trifft. Die trockene Selbstverständlichkeit, mit der da eine perverse Eskalation der Unterdrückung von Frauen geschildert wird, sorgt für körperliches Unbehagen. Dass dadurch der Name Atwood und ihr Schaffen auch Menschen außerhalb des Lesezirkels bekannt wurde, ist eine der großen Freundschafts-Leistungen, die gut gemachtes Mainstream-Fernsehen für die Hochkultur erbringen kann.
Apropos Unterhaltungskultur: Auf der Wettquotenliste für den Literaturnobelpreis steht auch der Name Jussi Adler-Olsen. Der ist bekannt für blutige Thriller ohne großen literarischen Anspruch. Ihm werden bessere Chancen eingeräumt als zum Beispiel dem hippen Grenzgang-Autor Karl Ove Knausgard. Eines ist klar, so realistisch muss man sein: Mit einer großen Wahrscheinlichkeit wird jemand präsentiert, von dem die wenigsten Menschen überhaupt schon einmal gehört haben. Und eigentlich ist das auch ganz gut so. Ruhm ist letztlich halt doch keine Kategorie in guter Literatur.