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Wer soll was werden?

Von Martyna Czarnowska

Politik

Das Gerangel um die Besetzung von EU-Topjobs hat begonnen - und damit ein Machtspiel zwischen den EU-Institutionen.


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Brüssel/Wien. Die großen Länder müssen vertreten sein. Die kleinen dürfen sich aber nicht vernachlässigt fühlen. Der Norden muss ebenso repräsentiert sein wie der Süden, der Osten wie der Westen. Das Gewicht der Parteienfamilien ist ebenfalls zu berücksichtigen. Und zumindest eine Frau sollte ja auch dabei sein.

Die Besetzung von EU-Spitzenpositionen ist wie ein kompliziertes Puzzle, in dem alle Teile ineinandergreifen müssen. Es entsteht ein fein austariertes Gefüge, das politische und geografische Gegebenheiten, unterschiedliche Interessen und Vorgaben geprägt haben. Alle fünf Jahre dreht sich das Personenkarussell - und heuer ist es wieder so weit. Gleich fünf Topjobs sind in den kommenden Wochen und Monaten zu vergeben. Es beginnt im EU-Parlament, das am Wochenende neu gewählt wurde. Dort gilt es zunächst einmal, einen Parlamentspräsidenten zu küren.

Mächtiger ist aber der Leiter einer anderen EU-Institution. Denn es ist die Europäische Kommission, die Gesetzesentwürfe vorlegt und als Hüterin der EU-Regeln auftritt. An ihrer Spitze steht derzeit Jean-Claude Juncker, der im Herbst abgelöst wird, wie das Gremium seiner 27 Kommissare. Damit wird auch der Topposten des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den zurzeit Federica Mogherini innehat, neu besetzt.

Personalpaket zu schnüren

Auch der EU-Ratspräsident, der die Gipfelsitzungen der Staats- und Regierungschefs leitet, muss neu gekürt werden. Denn die Amtszeit von Donald Tusk läuft ebenfalls im Herbst aus.

Ein weiterer und vor allem wirtschaftspolitischer Schlüsselposten ist schließlich jener des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB). Mario Draghi übt diese Funktion nur noch bis Oktober aus.

Über dieses Personalpaket hatten die Staats- und Regierungschefs der EU zu beraten, als sie einander am Dienstagabend in Brüssel trafen. Es war die erste Zusammenkunft nach dem europaweiten Urnengang, und es war ein informeller Gipfel. Entscheidungen waren also nicht zu erwarten - oder wie es die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im Vorfeld der Gespräche mit ihren Amtskollegen formulierte: "Wir werden die Diskussion sehr allgemein anlegen."

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron stellte daraufhin klar, noch nicht über Namen sprechen zu wollen. Stattdessen hatte er den Plan, die Prioritäten der Gemeinschaft in den Vordergrund zu rücken. Dazu zählt er den Kampf gegen den Klimawandel sowie die Schaffung eines neues Wachstumsmodells für die Wirtschaft.

Dahinter verbirgt sich die Diskussion um das Spitzenkandidaten-Prinzip und damit ein Machtgerangel zwischen dem EU-Parlament und den Regierungen. Diese könnten nämlich alle fünf Spitzenfunktionen in der EU selbst bestimmen. Sie sollten - abgesehen von den politischen und geografischen Vorgaben - dabei aber das Ergebnis der EU-Wahl im Blick behalten.

Geänderte Kräfteverhältnisse

Hier hakt das Abgeordnetenhaus ein. Nach der Wahl 2014 hatten sich die zwei größten Fraktionen, die Christ- und Sozialdemokraten, mit dem Wunsch durchsetzen können, dass der Spitzenkandidat der Partei mit den meisten Stimmen das Amt des Kommissionspräsidenten übernimmt. Juncker, der Repräsentant der Europäischen Volkspartei (EVP), rückte an die Spitze der Behörde, und der Sozialdemokrat Martin Schulz wurde EU-Parlamentspräsident.

Doch nach dem Votum am Wochenende haben sich die Kräfteverhältnisse in der Volksvertretung verschoben. EVP und Sozialdemokraten haben ihre gemeinsame Mehrheit verloren; grüne und liberale Gruppierungen haben Mandate dazugewonnen.

Diese gestärkten Parteien haben schon - ähnlich wie die Sozialdemokraten - angedeutet, dass sie nicht automatisch EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber Rückendeckung geben werden, der den Anspruch auf die Nachfolge Junckers erhebt. So konnten sich Spitzenvertreter der Fraktionen bei einem Treffen am Dienstag nicht auf einen gemeinsamen Bewerber für das Amt des Kommissionspräsidenten einigen. Die Sozialdemokraten erklärten zwar, dass sie das Modell selbst unterstützen, aber ihr eigener Listenerster, Frans Timmermans, sich ebenfalls gut für die Leitung der Kommission eignen würde. Die Liberalen hingegen zeigten sich skeptisch über das Prozedere.

Unsicherer Kandidat

Auch im Kreis der Staats- und Regierungschefs gibt es Einwände gegen das Spitzenkandidaten-Prinzip. So sagte Merkel zu, sich für Weber einzusetzen, doch schon Macron will das Modell nicht gelten lassen. Auch der niederländische Premier Mark Rutte ist kein Freund davon. Umgekehrt ist einer der prominentesten Unterstützer Webers mittlerweile nicht mehr im Amt: der abgesetzte österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz. Nach Brüssel fuhr Ex-Finanzminister Hartwig Löger, der zum interimistischen Kanzler ernannt wurde.

Dem Auftakt der Personaldebatten werden daher wohl noch zähe Verhandlungen folgen. Monatelang Zeit haben die EU-Institutionen allerdings nicht dafür. Bei ihrem regulären Gipfeltreffen Ende Juni sollten die Staats- und Regierungschefs schon konkrete Vorstellungen von der Jobpaketlösung haben. Ratspräsident Tusk hat von ihnen am Dienstag das Mandat erhalten, Gespräche mit dem EU-Parlament zu führen.

Der Pole betonte, einen Kompromiss finden zu wollen. Niemand möchte einen Konflikt zwischen den EU-Institutionen riskieren, befand er nach der Zusammenkunft. Gleichzeitig äußerte er den Wunsch, zumindest zwei der Topposten mit Frauen zu besetzen.

Anfang Juli wird sich das neue EU-Parlament konstituieren. Einige Wochen später müssen die Abgeordneten die neue Kommission samt deren Führung mit einfacher Mehrheit bestätigen.