Im albanischen Justizapparat startet ein Prozess zur Durchleuchtung von fast tausend Menschen.
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An Selbstbewusstsein mangelt es Edi Rama nicht. Mit seinen fast zwei Metern Körpergröße zelebriert der albanische Ministerpräsident sein Image als cooler Politiker, der auch auf eine Sportler- und Künstlerkarriere verweisen kann. So hat er kein Problem damit, auf einer internationalen Journalistenkonferenz in Tirana lässig auf Medien zu schimpfen. Und EU-Vertretern erklärt der sozialistische Premier immer wieder, welche Schritte unternommen werden müssten, um den Annäherungsprozess seines Landes an die Union zu beschleunigen. "Albanien verdient es, Beitrittsverhandlungen mit der EU zu eröffnen", sagt Rama dann.
Es liegt aber nicht zuletzt an den Regierenden im Land selbst, die Voraussetzungen für den Beginn der Gespräche mit Brüssel zu schaffen. Den Status eines Beitrittskandidaten hat Albanien mit seinen knapp drei Millionen Einwohnern bereits; ein Datum für die Aufnahme von Verhandlungen freilich noch nicht. In diesem Jahr wird sich wohl auch nichts daran ändern.
Immerhin ist das Land dabei, eine der wichtigsten Forderungen der EU - und der in Albanien ebenfalls einflussreichen USA - zu erfüllen. Eine weitreichende Justizreform ist beschlossen und soll nun umgesetzt werden. Schon die Einigung darauf gelang nur unter größten Mühen. Monatelang stritten im Vorjahr Regierung und Opposition um den Gesetzesentwurf, wobei beide Seiten einander vorwarfen, nicht so ambitioniert gegen Korruption und organisierte Kriminalität vorgehen zu wollen wie es notwendig wäre. Die Anschuldigungen kochten heuer vor den Wahlen im Sommer wieder hoch, als die Opposition die Parlamentsarbeit blockierte. Aus dem Urnengang gingen Rama und seine Partei als Sieger hervor.
Nun gilt es, einen wesentlichen Bestandteil der Justizreform in Angriff zu nehmen. Es geht vor allem um die Überprüfung von Richtern und Staatsanwälten. Die Tätigkeit von fast tausend Menschen soll durchleuchtet werden, und untersucht wird gleich auf mehreren Ebenen: Professionalität, mögliche Verbindungen zu Kriminellen sowie Vermögenswerte werden geprüft. Wer also eine Villa am Meer besitzt, muss offenlegen, woher das Geld für den Erwerb stammte. Korruption ist weiterhin einer der größten Kritikpunkte der EU.
Das Durchleuchtungsverfahren selbst läuft ebenfalls auf mehreren Stufen. Die Evaluierung führen albanische Behörden durch: Dafür vorgesehen sind unabhängige Kommissionen sowie eine Berufungskammer. Diese Gremien werden wiederum von Experten aus der EU und den USA überprüft. Gebündelt wird diese sogenannte Monitoring-Operation unter dem Dach der EU-Kommission. Ein neuer Zusatz zur albanischen Verfassung machte die internationale Aufsicht möglich.
Es ist ein schwieriges Unterfangen, da für so manchen Richter und Staatsanwalt wohl ein Ersatz gefunden muss - und die Ausbildung in diesen Berufen ebenfalls gewissen Standards zu folgen hat. Auf dem Spiel steht jedoch mehr als der Start von Beitrittsverhandlungen mit der EU. Es gilt, das Vertrauen der eigenen Bevölkerung in die Justiz zu stärken. Das ist die wohl größere Herausforderung.