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Wer war Jo Cox?

Von Peter Nonnenmacher aus London

Politik

Ein Porträt der Labour-Parlamentariern, die kurz vor ihrem 42.Geburtstag ermordet worden ist.


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Sie war das heimliche Poster-Girl der britischen Labour Party. Das Idol junger Labour-Wähler. Ein aufleuchtender "Stern" im Abgeordneten-Pulk. Letzteres bescheinigte Premierminister David Cameron der Labour-Parlamentariern Jo Cox, die jetzt, kurz vor ihrem 42.Geburtstag, auf grausame Weise in ihrem Wahlkreis in West-Yorkshire ermordet worden ist.

Auch als "bewundernswerte Aktivistin" bezeichnete Cameron Cox, bei den gestrigen Kranzniederlegungen. Der Regierungschef musste es wissen. Die Labour-Abgeordnete war seiner Politik in vielem ablehnend gegenüber gestanden - und hatte kein Geheimnis daraus gemacht.

Sie sah sich als Bannerträgerin für eine "andere" Gesellschaft auf der Insel. Für eine Gesellschaft, die zum Beispiel benachteiligten Kindern in Nordengland helfen und syrische Flüchtlinge aufnehmen würde.

Dabei war Cox erst voriges Jahr ins Parlament eingezogen. Doch nicht nur ihr offenes Wesen, ihre strahlenden Augen und ihre Lachgrübchen nahmen ihre Zeitgenossen in Westminster und droben in Yorkshire für sie ein.

Sie arbeitete hart, in diesem Jahr, und mit der Leidenschaft, die ihr zu eigen war. Sie setzte sich für soziale Minderheiten, gesellschaftliche Integration und Gleichberechtigung für Frauen ein. Unter anderem war sie Vorsitzende des "Labour Women´s Network", einer Gruppe, die versucht, mehr Frauen ins Parlament zu ziehen.

Aufgewachsen war Jo Cox in derselben Gegend, die später ihr Wahlkreis werden sollte. Ihre Mutter war Schulsekretärin. Ihr Vater arbeitete in einer Zahnpasta-Fabrik. Eigentlich, sagte sie einmal, sei sie "nicht wirklich mit politischem Bewusstsein oder als Labour-Mensch" aufgewachsen. Wo ihr Platz war, im politischen Spektrum der Insel, ging ihr erst später auf.

Und zwar an der Uni Cambridge, zu der sie sich eine Zulassung erkämpfte - nur um dort zu begreifen, dass sie inmitten der sozialen Elite "nicht die richtige Sprache sprach und auch keine Verbindungen vorweisen konnte". Während ihre Altersgenossen sich zwischendurch ein Jahr Weltenbummelei gönnten, verdiente sie in der Zahnpasta-Fabrik, in der auch ihr Vater beschäftigt war, etwas Geld.

Nach Cambridge tat sie, was sie wirklich gern tun wollte. Sie wurde Entwicklungshelferin fernab der englischen Küsten, für den Wohlfahrtsverband Oxfam. Später wurde sie Leiterin der politischen Abteilung bei Oxfam - und Ratgeberin Sarah Browns, der Ehefrau des damaligen Labour-Premiers Gordon Brown.

Brendan Cox, Jo´s Ehemann, beriet seinerseits Gordon Brown in Entwicklungsfragen. Er war Direktor beim Verband "Save The Children". Zusammen mit ihrem Mann und den beiden noch kleinen Töchtern Cuillen und Lejla lebte Jo Cox auf einem renovierten Hausboot auf der Themse. Freunde, die sich nur ein Leben auf festem Land vorstellen konnten, sprachen schmunzelnd von einer Neigung zur "Hippie-Existenz".

Als freilich für die Parlamentswahl vom Mai 2015 in ihrem Heimat-Wahlkreis droben in West Yorkshire die Labour Party nach einem oder einer guten Abgeordneten suchte, beschloss sie, in die "grosse Politik" einzusteigen. Unmittelbar gewählt, ging auch unverzüglich ihr "Stern" im Unterhaus auf.

Schnell bekannt wurde sie, weil sie David Cameron, der sich gegen grösseren Zuzug sperrte, in der Syrien- und der Flüchtlings-Frage konfrontierte. "Wer kann es verzweifelten Eltern verdenken, dass sie dem Horror entkommen wollen, in dem sie leben?" fragte sie Cameron vor zwei Monaten. "Ich würde Leib und Seele riskieren, um meine zwei kostbaren Babies aus so einer Hölle heraus zu kriegen."

Auch bei Fragen wie der sozialer Ungerechtigkeit in Grossbritannien nahm sie kein Blatt vor den Mund. Bildung und Wohlstand auf der Insel, meinte sie, seien zu einer "Postleitzahlen-Lotterie" verkommen, bei der gutgestellte Familien in London rücksichtslos bevorzugt würden. "In meinem Wahlkreis lebt ein Drittel aller Kinder in Armut." Das sei "herzzerreissend" für hart arbeitende und doch mittellose Familien dort.

Auch Einwanderung hat Cox, gegen den Trend der Zeit, nachdrücklich verteidigt. Und als das Referendum ausgerufen wurde, war sie mit gleicher Leidenschaft für einen Verbleib in der EU. "Natürlich", sagte sie noch vorige Woche, "muss man sich mit all den Problemen der Einwanderung beschäftigen. Aber das ist noch lange kein Grund, aus der EU auszusteigen. Da stimme ich dem Premierminister zur Abwechslung mal zu."

Am Mittwoch dieser Woche, als Ukip-Chef Nigel Farage mit seiner Brexit-Fischerflotte die Themse heraufschipperte, sandte sie noch via Twitter gutgelaunt Bilder von der Schlauchboot- und Greenpeace-Gegenaktion, an der ihre Familie teilnahm, in die Welt. Am Donnerstag war sie auf dem Weg zu einem Pro-EU-Treffen in ihrem Wahlkreis in Yorkshire. Aber ihr Mörder lauerte schon auf sie.