Die Vertrauensregierung könnte einige Akzente setzen, die für die Strukturierung künftiger Kabinette Maßstäbe setzen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Aus Anlass der Bildung der aus Höchstrichtern und Beamten gebildeten "Vertrauensregierung" wurden die Vorzüge des österreichischen Spitzenbeamtentuns beschworen: Orientierung am Wohl der Republik, hohe Fachkompetenz, langfristige Orientierung, nicht nur Möglichkeits-, sondern auch Umsetzungssinn, politisches Fingerspitzengefühl und Ähnliches mehr.
Es wurde hiermit eine Welt heraufbeschworen, die es in dieser Form kaum mehr gibt, und dies nicht so sehr, weil die persönlichen Befähigungen fehlen, sondern weil sie nur mehr sehr zurückhaltend genutzt werden.
Aufblähung der Ministerkabinette
Seit den neunziger Jahren wurden die Ministerkabinette kontinuierlich und im Ergebnis massiv aufgebläht, die Fünf-Jahres-Befristung der Bestellung von Sektionsleitern beförderte eine Entwicklung von "tell truth to power", also selbstbewusstes Vertreten dessen, was man für sachlich und rechtlich als richtig ansieht, hin zu "responsivity", also Reaktionsbereitschaft und Geschmeidigkeit gegenüber politischen Impulsen und Gesten. Die übliche Laufbahn zum Sektionschef (langsames Aufsteigen in der Beamtenhierarchie) ist weitgehend einem kürzeren Weg gewichen: dem vom Kabinett in die Sektionsleitung.
In den letzten eineinhalb Jahren hat sich diese Entwicklung dynamisiert: Generalsekretäre als Vorgesetzte der Sektionschefs mit teilweise ihrerseits etlichen Mitarbeitern (Innenministerium: zwölf Personen im Ministerkabinett, zehn im Stab des Generalsekretärs); Einrichten eigener sogenannter Thinktanks für Bundeskanzler und Vizekanzler; Rhetorik des "Sparens am System" bei gleichzeitiger Aufblähung und Zentralisierung der Medienarbeit in den Ressorts.
Dies alles findet vor dem Hintergrund österreichischer Spezifika statt, die für uns so selbstverständlich sind, dass wir sie nicht als Alleinstellungsmerkmale gegenüber unseren deutschsprachigen Nachbarländern und auch gegenüber West- und Nordeuropa erkennen: Parteipolitisierung der Verwaltung (Zuordnung der Beamten, Postenbesetzungen, Seilschaften, Fraktionen der Personalvertretungen) bis ins letzte Glied hinein, regelmäßige Einflussnahmen von ganz oben nach ganz unten.
Wir befinden uns am vorläufigen Endpunkt einer schrittweisen und zugleich kontinuierlichen Entwicklung, die aus Anlass von aufsehenerregenden Einzelfällen und von parlamentarischen Anfragen kurzfristig thematisiert wird, bisher jedoch nicht sorgfältig untersucht und kritisch reflektiert wurde.
Die einzelnen Spitzenbeamten versuchen in ihren spezifischen Biotopen (die obige Darstellung ist vereinfacht, die Entwicklung verläuft in den einzelnen Ressorts durchaus unterschiedlich), das jeweils Beste aus der Situation zu machen. Formen solidarischen Zusammenschlusses oder offensiver öffentlicher Kommunikation unterbleiben weitgehend.
Anders stellt sich dies bei den Richtern mit ihrer verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit dar. Deren Standesvertreter treten öffentlichkeitswirksam für die Bewahrung und Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit ein und argumentieren gegen eine populistische Strafrechtspolitik.
Bei aller Unvorhersehbarkeit der Entwicklungen des nächsten halben Jahres: Es wäre höchst überraschend, wenn die "Beamtenregierung" nicht den an sie gestellten Erwartungen, den Staat unaufgeregt und kompetent administrativ zu steuern, gerecht würde. Gleichwohl ist zu erwarten, dass die nächste Koalitionsregierung mit der einen oder anderen Variation die bisherigen Praktiken in den Bundesministerien fortführt. Aber muss das so sein?
Vertrauensregierung Anstoß zu Analyse der Regierungsarbeit
Eine Option der Vertrauensregierung könnte sein, das anzustoßen, was bisher unterblieb: die sorgfältige und eingängige Analyse sowie Reflexion des österreichischen Stils der Regierungsarbeit. Auch zu Zeiten "fokussierter Unvernunft" (Michael Häupl) und vor allem während der Zeit der Regierungsbildung sollte es möglich sein, einige gut aufeinander bezogene Veranstaltungen zu machen, in der Beamte, Wissenschafter, Repräsentanten von Anspruchsgruppen und der Zivilgesellschaft und auch einige (Ex-) Politiker eine Bestandsaufnahme angehen und einige Themen zu behandeln. Beispielsweise diese:
Ist es notwendig, dass Bundesminister in Österreich einen größeren persönlichen Unterstützungsapparat haben als EU-Kommissare in Brüssel? Sollte es ähnlich wie dort einen Code of Conduct an den Nahtstellen zwischen Politik und Verwaltung geben?
Wie soll die politische Steuerung der Verwaltung erfolgen? Ist es den Ressortleitern zumutbar, eine Handvoll Sektionschefs zu führen, oder müssen sie dies und wenn ja in welchem Ausmaß und an wen delegieren? Genügt es, dass die Ressortleiter vorgeben, was zu geschehen hat, und die Beamten entscheiden, wie sie dies umsetzen? Wie weit hinunter in die Kerneinheiten der Leistungserbringung soll der politische Einfluss reichen?
Da die bisherigen Ansätze, eine Verwaltungshochschule des Bundes zu errichten, fantasiearm und konzeptuell vage geblieben sind: Wie könnte man die in der Verwaltung vorhandenen Befähigungen, Wissensbestände und Erfahrungen zu einem produktiven Austausch zusammenführen? Wäre es sinnvoll und möglich, ein gut unterstütztes und betreutes Netzwerk einzurichten, das in Formen des nationalen und internationalen Austauschs mit der Wissenschaft und Kooperationspartnern steht? Sollte man eine gemeinsame qualifizierte Ausbildung für Führungskräfte (auch in Politiknähe) und solche, die es werden wollen, einrichten, die zu erheblichen Teilen in der Arbeit an Projekten und Studien besteht?
Verwaltung und Politik sind zwei unterschiedliche Systeme
Das zentrale Thema lautet: Wie schafft man eine gelingende Kopplung zweier gesellschaftlicher Teilsysteme mit unterschiedlicher Logik. In der Politik steht die Erlangung und Bewahrung demokratisch legitimierter Macht mit kurz angelegter Eigenzeitlichkeit im Vordergrund. Die Verwaltung ist gewohnt, in längeren Zeiträumen zu denken. Sie ist auf die Anwendung, aber auch Erarbeitung von Rechtsnormen sowie auf die effektive und effiziente Produktion öffentlicher Güter ausgerichtet.
Für die Synthese dieser beiden Welten gibt es keine einfachen, schnell zu erreichenden Lösungen. Es bedarf eines offen angelegten und mit Beharrlichkeit geführten Diskurses, aus dem heraus wechselseitiges Verständnis und belastbare Lösungen entstehen können.
Die nunmehrige Vertrauensregierung setzt auf keine vorhandenen Traditionen auf und steht abgesehen von der Notwendigkeit, den Staat am Laufen zu halten, nicht unter Erfolgsdruck. Es wird ihr wohl auch nicht möglich sein, die oben angesprochenen Themen "abzuarbeiten". Wohl aber hat sie die Unbefangenheit, bisher weitgehend tabuisierte Themen anzusprechen und Formen deren Bearbeitung zu initiieren. Sollten diese von der nächsten Koalitionsregierung nicht aufgegriffen und fortgeführt werden, wäre immerhin eine Aktivierung der Fachöffentlichkeit und darüber hinaus eine gewisse Sensibilisierung der Öffentlichkeit erreicht. Möglicherweise entsteht eine Dynamik, die mittelfristig ihre Wirkung erzielt.
Ganz allgemein arbeitet ein System dann erfolgreich, wenn die in ihm vorhandenen Ressourcen erschlossen, gebraucht und produktiv miteinander verknüpft werden. Von solch einer Verfasstheit ist unser politisch-administratives System ein erkennbares Stück entfernt. Wenn die nunmehrige Regierung hier nicht erste Schritte setzt, einige Impulse startet, wer sonst wird dies in den nächsten Jahren tun?