Das Bahnorama in Favoriten, einst gut besuchte Aussichtsplattform der Baustelle Hauptbahnhof, sollte bereits im Mai abgebaut werden.
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Wien. Noch immer thront er an der Ecke Sonnwendgasse/ Favoritenstraße, Anrainer und Passanten haben sich längst an seinen Anblick gewöhnt. Stumm überblickt der gigantische Holzturm den Wiener Hauptbahnhof, auch wenn seit Jahresbeginn niemand mehr die beiden Panoramalifte benutzt hat oder die 250 Stufen bis zur Aussichtsplattform hinaufgestiegen ist. Auch in den Ausstellungsräumen und dem Café, das sich im Holz- und Glasbau mit knallrotem Dach am Fuße des Turms befindet, wurde schon lange keine Melange mehr getrunken. Die starken Holzbalken sind schon ausgebleicht von der Sonne und grau von den Abgasen. Das Bahnorama stellt immer noch das letzte Überbleibsel der Baustelle Hauptbahnhof dar - und sollte eigentlich seit Mai dieses Jahres abgebaut sein. Seitens der ÖBB gibt man sich zugeknöpft, der Turm gehört ihnen längst nicht mehr. Was ist geschehen?
Aussicht auf die Großbaustelle
Im Jahr 2008 schrieben die ÖBB und die Stadt Wien gemeinsam den Bau eines "Informationsgebäudes mit bis zu 26 Meter hoher Plattform" aus. Anrainern und Interessierten sollte die Möglichkeit geboten werden, das Treiben auf Wiens größter Baustelle mitzuerleben und sich vorab ein Bild über den künftigen Hauptbahnhof machen zu können. Den Zuschlag erhielt das Wiener Architektenbüro Rahm - auch wenn sie sich kurzerhand über die Höhenvorgabe von 26 Metern hinwegsetzten und der Jury einen 90 Meter hohen Entwurf präsentierten. So sollte ein besserer Sichtbezug zur Baustelle hergestellt werden. Schlussendlich wurde das Bahnorama nach den Ideen von Rahm errichtet und im August 2010 eröffnet.
Die 150 Tonnen schwere Konstruktion aus Holz und Stahl war mit ihren 66,72 Metern der höchste begehbare Holzturm Europas - bis ihr der Aussichtsturm Pyramidenkogel im Jahr 2013 in Keutschach am See in Kärnten mit 100 Metern Höhe den Rang ablief.
Die Aussichtsplattform in 40 Metern höhe konnte zu Fuß oder mit den zwei halbrund verglasten Panoramaaufzügen erreicht werden. Ein Besuch auf der Plattform kostete für Erwachsene 2,50 Euro - Kinder unter 13 Jahren kamen in Begleitung zwar nicht gratis hinauf, zahlten aber "nur" 10 Cent. Demgegenüber herrschte für das Ausstellungsgebäude neben dem Turm, wo sich auch das "Café Bahnorama" befand, freier Eintritt. Auf 550 Quadratmetern sollte Interessierten der neue Hauptbahnhof anhand von Kategorien wie "Pendler", "Experten" oder "Anrainer" schmackhaft gemacht werden.
Turm zu verkaufen
Im Oktober 2014 wurde der Hauptbahnhof eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt war er weitestgehend fertiggestellt und betriebsbereit. Lediglich die Gleisanlagen an der Ostseite befinden sich noch in Bau und werden bis Ende 2015 vollendet sein. Der Beginn des Bahnhofsbetriebs sollte auch das Ende des Bahnoramas einläuten - am 31. Dezember 2014 fuhren oder stiegen die letzten Besucher zur Aussichtsplattform hinauf, bevor das Bahnorama nach viereinhalb Jahren und mehr als 300.000 Nutzern geschlossen wurde.
Wenn es um die Kosten des Aussichtsturms geht, hält sich die ÖBB auch auf Anfrage der "Wiener Zeitung" bedeckt. Man verweist auf die kolportierten Gesamtkosten des Projekts Wien Hauptbahnhof, die eine Milliarde Euro ausmachen. "Das Bahnorama war Teilprojekt davon und hat wesentlich dazu beigetragen, dass der Wiener Hauptbahnhof sowohl pünktlich als auch exakt zu den geplanten Kosten - also ohne Überschreitung - fertig gebaut werden konnte", betont ÖBB-Pressesprecher Michael Braun. Er begründet dies mit der durch die Aussichtsplattform "hervorragend" abgelaufenen Anrainerkommunikation, für ihn ist das Bahnorama vor allem eine "Erfolgsgeschichte".
Bereits Anfang 2014 wurde über eine Nachnutzung des Bahnoramas nachgedacht. Eine Verwendung bei der Baustelle Seestadt war nicht möglich, da die Turmhöhe für die Dimensionen des Areals - die dortige Baustelle war mehr als doppelt so groß, wie jene des Hauptbahnhofs - zu niedrig war.
Auch ein Einsatz an der Baustelle des Nordbahnhofs wurde nicht umgesetzt. In Abstimmung mit der Stadt wurde eine öffentliche Ausschreibung angesetzt, schlussendlich wurde das Bahnorama "an einen Investor zum schonenden Abtrag und zur Wiederverwendung an anderer Stelle verkauft", erklärt ÖBB-Sprecher Braun. Den Verkaufspreis will Braun nicht nennen, da es bei öffentlichen Ausschreibungen üblich sei, nur den Bestbieter aber nicht die Konditionen bekannt zu geben, wie er anmerkt. Außerdem sei nicht ein Verkaufserlös, sondern die Nachnutzung des Bahnoramas im Vordergrund der Ausschreibung gestanden - hätte sich kein Käufer gefunden, wäre der Abbau von den ÖBB durchgeführt worden.
ÖBB zieht Konsequenz
Der deutsche Investor hatte seiner tschechischen Tochterfirma "Vienna Tower Transfer s.r.c." die Aufgabe übertragen, einen Abnehmer für den Turm zu finden. Das Unternehmen bewirbt auf seiner Internetpräsenz die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des Bahnoramas - noch immer. Denn obwohl vereinbart war, dass das Bahnorama bis Mai 2015 abgebaut werden soll, ist bisher nichts passiert. "Leider hat sich herausgestellt, dass der Investor weder den Abtrag noch die Wiederverwertung erfolgreich durchführen kann, die Gründe dafür sind leider nicht bekannt", bestätigt Michael Braun gegenüber der "Wiener Zeitung".
"Die ÖBB und Stadt haben nun schon entsprechende Schritte gesetzt, das Behördenverfahren für den Abbruchbescheid ist bereits eingeleitet worden". Sobald der Bescheid genehmigt ist, werden die ÖBB eigenständig mit dem Abbruch des Bahnoramas beginnen. Wie dann mit dem Investor und eigentlichen Käufer des Aussichtsturms verfahren wird, kann Braun noch nicht sagen, es sei "zu früh, um darüber zu spekulieren". Er betont jedoch, dass der Investor noch bis zum Einlangen des Abbruchbescheids Zeit hat, den Turm selbstständig zu entfernen. "Wenn die Firma das Bahnorama beispielsweise morgen abbauen lässt, haben wir auch nichts dagegen".
Grundstück für Wohnungen
Auf dem Grundstück des Bahnoramas stand früher ein Gemeindebau. Der Antonie-Alt-Hof wurde im Zuge der Verlängerung der Sonnwendgasse zur Favoritenstraße geschleift und diente dem Aussichtsturm als Standort. Was nach dem endgültigen Abschied des Bahnoramas mit dem Grundstück geschehen wird, sei noch nicht sicher, heißt es seitens Wiener Wohnen, in deren Händen die Nachnutzung des Areals liegt. "Hier liegt noch eine Bringschuld von Vienna Tower Transfer vor - es gilt zuerst, die vertraglichen Bestimmungen einzuhalten und den Turm abzubauen", wird angemerkt.
Temporäre Nutzungsmöglichkeiten für die frei werdende Fläche gäbe es prinzipiell viele, wichtig sei "ein Mehrwert fürs Grätzl und ein Angebot für die Bevölkerung im öffentlichen Raum", betont ein Sprecher von Wiener Wohnen. Konkrete Pläne liegen allerdings mangels Sicherheit über den Abbautermin des Bahnoramas noch nicht vor. Wiener Wohnen betont jedoch, eine erneute Wohnnutzung des Areals anzustreben.
Der Abbau des Turms hängt demnach bis auf Weiteres in der Luft.