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Wer Wind sät, wird Sturm ernten - Wege aus der Gewaltspirale

Von Daniel Witzeling

Gastkommentare
Daniel Witzeling ist Psychologe und Sozialforscher. Er leitet das Humaninstitut Vienna (www.humaninstitut.at) und beschäftigt sich als Sozialforscher mit angewandter Psychologie auf verschiedenen gesellschaftlichen Tätigkeitsfeldern. Foto: privat

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Wir leben in Zeiten zunehmender Gewalt und aufgestauter Aggressionen. Feindbilder spielen aufgrund der zunehmend schwierigeren sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen eine immer größere Rolle. Menschen fällt es aber auch zusehends schwerer, Vorbilder oder praktische Lebensmodelle zu finden und sich selbst ein stabiles Wertesystem aufzubauen - ohne gleichzeitig die eigene Identität und die eigenen Bedürfnisse zu verleugnen. Wissen zu wollen, was man wirklich will und wohin man gehört, ist aktueller denn je.

Oft werden Personen bewundert, die wie Zugpferde voranpreschen und mit stolzgeschwellter Brust vorgeben zu wissen, worauf es im Leben ankommt, und eine genaue Vorstellung davon zu haben scheinen, was sie wirklich wollen. Im Prinzip ist das, was wir in eben jenen Menschen sehen, nur eine Projektion unserer eigenen Unsicherheit. Wer schon einmal ernsthaft versucht hat, sich sein Leben so zu richten, wie er es möchte, wird wissen, auf wie viele Hindernisse man stößt. Unsere Umgebung ist daran gewöhnt, dass wir artig sozial erwünschte Verhaltensweisen an den Tag legen und in der täglichen Hektik vergessen, auf uns selbst zu hören, was früher oder später auf verschiedene Weise zu Tage tritt. Ob es aus der Pore der Verdrossenheit, der Aggression oder der Depression heraus dampft, ist eigentlich beinahe nebensächlich.

Muss man nun jeden vor den Kopf stoßen, nur weil man sich selbst verwirklichen will? Der alte Spruch, dass "der Ton die Musik macht", hat in diesem Kontext einen begrenzten Wahrheitsgehalt, denn auch wenn man seine Meinung in wunderschöne Worte kleidet, wird der andere eventuell etwas zu hören bekommen, das ihm so gar nicht schmeckt.

Nun nähern wir uns aber dem Knackpunkt: Andere zu akzeptieren, so wie sie sind, auch wenn man in mehreren Punkten nicht ihrer Meinung ist, ist nämlich schwieriger, als es sich anhört. Unterm Strich geht es darum, Feingefühl für sich selbst und für andere an den Tag zu legen und für sich selbst klar abzugrenzen, was einem wichtig ist. Vielleicht werden sich auch so Konflikte ergeben, aber wenn diese auf fruchtbaren Boden fallen, können daraus viele neue Dinge entstehen, die nicht nur einen selbst zufriedener, sondern auch die eigene Umgebung ein Stückchen besser machen.

Soziale Inklusion

Das Vorhandensein von Unterschieden sollte in der Gesellschaft weder in Frage gestellt werden noch eine Besonderheit darstellen. Doch die Realität zeigt, dass gerade politische, religiöse oder auch Unterschiede in der sexuellen Präferenz, wie die Angriffe auf einen Nachtklub in Orlando und die Brexit-Gegnerin Jo Cox in Großbritannien gezeigt haben, großes Konfliktpotenzial in sich tragen.

Ein Gesellschaftsmodell, bei dem jeder Mensch im Rahmen gesetzlicher Voraussetzungen in seiner Individualität von der Gesellschaft akzeptiert wird und die Möglichkeit hat, in vollem Umfang an ihr teilzunehmen, wäre zumindest eine Zukunftsvision. Eine solche soziale Inklusion, bei der das Vorhandensein von Vielfalt und Unterschieden die Normalität darstellt und sich jeder mit seinen Besonderheiten positiv einbringen und auf die ihm eigene Art wertvolle Leistungen erbringen kann, würde dazu führen, dass verschiedene Gruppen am gesellschaftlichen Diskurs teilnähmen. So könnte präventiv negativen und extremen Tendenzen entgegengewirkt werden.

Mentale Barrierefreiheit

Wie offen ist unsere Gesellschaft wirklich? Endet die Toleranz bei den eigenen Wert- und Weltbildern? Eines wird sicher nicht gehen, nämlich dass für einzelne Gruppen Toleranz und Offenheit gilt, während andere ausgeschlossen werden. Barrierefreiheit wäre in diesem Kontext im Sinne des Abbaus mentaler Barrieren unter gleichzeitiger Berücksichtigung von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung zu verstehen. Es darf nicht passieren, dass sich einzelne Mitglieder in der Gesellschaft mental abkapseln. Wer sich einmal mental isoliert hat, ist schwieriger wieder zu integrieren. Nur wer sich als Teil eines Ganzen sieht, neigt im Sinne der kognitiven Dissonanz eher dazu sich gesellschaftskonform zu verhalten. Wer sich aber isoliert und ausgegrenzt fühlt, wird aus Gründen der Reaktanz genau jenes Verhalten zeigen, das die breite Gesellschaft ablehnt.

Um dies zu verhindern, bedarf es der Förderung einer neuen Kultur des Miteinanders und der offenen Diskussion. Analog zur Aussage sozialdemokratischer Politikers Julius Tandler, "Wer Kindern Paläste baut, reißt Kerkermauern nieder", sollten Ansätze des respektvollen und gewaltfreien miteinander Umgehens längst an den Schulen gelehrt werden.