Wildbad Kreuth - Geheimpapiere, Alleingänge, überraschende Gäste - die CSU lässt sich alljährlich einiges einfallen, um ihre traditionsreiche Klausurtagung im oberbayerischen Wildbad Kreuth spannend zu machen. Bei dem heute beginnenden Treffen wird Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber auch zur Frage Stellung nehmen, wer der "Bannerträger der Union" im deutschen Bundestagswahlkampf sein wird.
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Sollte in dem idyllischen Alpental, in dem früher Magenkranke und Schwindsüchtige Genesung suchten, wirklich die seit Monaten quälende K-Frage gelöst werden? Bei der CSU-Landesgruppe meldeten sich nach der Ankündigung von CSU-Landesgrupenchef Glos, dass Stoiber zur Kanzlerkandidatrenfrage Stellung nehmen werde, gleich noch mehr Journalisten als bisher zu dem eigentlich internen Konvent an.
Stoiber steht am Dienstag bei seiner Visite im einst königlichen Kurbad unter erheblichem Erwartungsdruck. Die Bundestagsabgeordneten der CSU, von Anfang an treibende Kraft für die Kandidatur ihres Parteichefs, erwarten ein klares Signal. Sie wollen nach der leidigen Dauerdiskussion endlich wissen, woran sie sind. "Die Unionsfraktion steht mit großer Mehrheit hinter Stoiber", sagt der CSU-Mittelstandsexperte Hans Michelbach. "Jetzt sollte die Frage möglichst schnell geklärt werden."
Für CDU-Chefin Angela Merkel allerdings wäre eine Kür des Ober-Bayern im CSU-Alleingang ein Affront. Ausgerechnet dort, wo die CSU vor gut 25 Jahren die später wieder zurückgenommene Trennung von ihrer Schwesterpartei beschloss, würde sie aus dem Rennen gekegelt - der "Kreuther Geist" ließe grüßen. Stoibers Getreue wiegeln deshalb erschrocken ab: "Der Ministerpräsident hält sich an die mit der CDU verabredete Linie. Er ist an einem fairen und partnerschaftlichen Verfahren interessiert."
Im Klartext: Die Entscheidung soll wie geplant im Gespräch zwischen Merkel und Stoiber fallen - nicht auf der CSU-Klausur, allerdings genauso wenig auf der CDU-Klausur wenige Tage später in Magdeburg. "Auch Stoiber hat ein elementares Interesse, dass Merkel am Schluss nicht als Verliererin dasteht", sagt ein CSU-Führungsmann. "Wir brauchen beide Vorsitzende unbeschädigt für den Wahlkampf."
Von der Sache her ist für die Christsozialen die Entscheidung freilich längst klar. Sie halten Stoiber unisono für den Kandidaten, der gegen SPD-Kanzler Gerhard Schröder mehr Punkte holen kann. Ein ungebrochener Rückhalt auch in der CDU gilt dabei als Schlüssel zum Erfolg.
Stoiber selbst hat inzwischen offenbar Gefallen an dem Projekt gefunden. Nachdem er angesichts der düsteren Wirtschaftsaussichten zunehmend Chancen sieht, doch einen Stich gegen Schröder zu machen, ist seine lange zögerliche Haltung fast einer Art Kampfeslust gewichen. "Man muss ihn nicht mehr zum Jagen tragen", konstatiert ein Parteifreund zufrieden. Die neu aufgeflammte Diskussion um die CSU-Spendenpraxis sehen Vorstandsmitglieder nicht als Stolperstein - sie halten die Vorwürfe durch die früheren Stellungnahmen des Bundestages bereits für ausgeräumt.
Und Merkel? Dass die CDU-Chefin während der Weihnachtsfeiertage unmissverständlich ihren Führungsanspruch angemeldet hat, treibt die CSU-Strategen nicht sonderlich um. Möglicherweise, so wird in München spekuliert, wolle die Konkurrentin damit ihre Stellungen ausbauen, um Stoiber aus einer Position der Stärke heraus die Kandidatur antragen zu können. "Frau Merkel hält sich zwar selbst für die bessere Kandidatin", sinniert ein CSU-Spitzenpolitiker. "Aber sie kann wohl kaum ignorieren, dass auch das Führungspersonal der CDU nicht mehrheitlich auf ihrer Seite steht."