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Wer wird Demirel-Nachfolger?

Von Susanne Güsten

Politik

Istanbul - Kandidat Nummer Eins ist eine Witzfigur. Kaum begann am vergangenen Wochenende in Ankara die Frist zur Anmeldung von Bewerbungen um das Präsidentenamt, tauchte Mehmet Mail Büyükerman im Parlamentsgebäude auf, um seine Kandidatur einzureichen.


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Mit seinem geschwungenen Schnurrbärtchen, den nach oben gezwirbelten Augenbrauen und dem etwas wirren Salvador-Dali-Blick ist der 72-jährige Abgeordnete eine Art Till Eulenspiegel und in der Volksvertretung für seine Streiche und langen Reden bekannt. Chancen hat er keine, obwohl er der Partei von Ministerpräsident Bülent Ecevit angehört. Ecevits Koalition hat Probleme, einen geeigneten Bewerber zu finden.

Bisher seien noch keine Namen genannt worden, sagte der Premier am Montag vor einem weiteren Treffen seiner Koalition zum Thema Präsidentenwahl. Schon am Freitag hatten die Regierungspartner darüber diskutiert. Die Aussage Ecevits hörte sich angesichts der täglich neu ins Gespräch gebrachten potenziellen Bewerber merkwürdig an, denn es kursieren mindestens ein Dutzend Namen. Doch Ecevits Zurückhaltung hat gute Gründe: Seine Koalition muss binnen einer Woche einen konsensfähigen Kandidaten finden, und da könnte ein vorzeitiges Ausplaudern der Namen möglicher Nachfolger von Staatspräsident Süleyman Demirel fatal sein. Die Koalition ist unter Druck geraten, weil sie vor zwei Wochen im Parlament mit ihrem Vorhaben scheiterte, Demirels Amtszeit zu verlängern. Deshalb muss jetzt ein neuer Präsident her - und zwar schnell.

Nach der türkischen Verfassung endet die Bewerbungszeit für Kandidaten am Dienstag kommender Woche. Danach beginnt die Frist für die Wahl des Präsidenten im Parlament, die bis zum 15. Mai dauert. Bis zu vier Wahlgänge sind möglich. In den ersten beiden Runden braucht ein Kandidat die Zweidrittelmehrheit von mindestens 367 Stimmen, bei den beiden letzten Wahlgängen genügt die absolute Mehrheit von 276 Ja-Stimmen. Wenn es dann noch kein Ergebnis gibt, wird das Parlament aufgelöst und es gibt Neuwahlen. Dieses Verfahren setzt die Abgeordneten unter Einigungszwang, denn niemand will ein Jahr nach der letzten Wahl vom 18. April 1999 sein Mandat leichtfertig aufs Spiel setzen.

Ecevits Koalition verfügt im Parlament zwar über eine komfortable Mehrheit, doch ist jede der drei Regierungsparteien in der bisherigen Diskussion bestrebt gewesen, Politiker aus den eigenen Reihen zu favorisieren. Besonders der rechtsradikalen Koalitionspartei MHP werden Ambitionen aufs Präsidentenamt nachgesagt, weil die beiden anderen Parteien im Bündnis bereits den Ministerpräsidenten und den Parlamentspräsidenten stellen.