Durch Jahrzehnte waren die politischen Kompetenzen in Finnland ziemlich klar aufgeteilt: Ein starker Präsident bestimmte nicht nur die Außenpolitik, sondern nahm auch auf das Geschehen im Inneren | des Landes einen starken Einfluß. Die Regierungen wechselten oft, da starke ideologische Gegensätze eine Zusammenarbeit erschwerten, und das parlamentarische Geschehen war durch eine Parteienvielfalt | geprägt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 25 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Nunmehr sollen durch eine Verfassungsreform die Kompetenzen des Staatspräsidenten stark eingegrenzt werden. Die neue Verfassung soll am 1. März 2000 in Kraft treten. Voraussetzung dafür ist, daß
das Parlament die Verfassungsreform zunächst mit einfacher Mehrheit beschließt und dann das neu gewählte Parlament die Beschlußfassung mit einer 2/3 Mehrheit wiederholt.
Die Regierung hat schon während der letzten Jahre die Politik des Landes bestimmt und auch das Parlament hat an Selbstbewußtsein gewonnen. Wenn die EU-Mitgliedschaft den politischen
Entscheidungsprozeß generell beeinflußt hat, dann wirkte sich dies auf das Parlament dahingehend aus, daß es nunmehr stärker in die Entscheidungsfindung eingebunden ist.
Der Abschied vom
starken Präsidenten
Als die Diskussion über die Reform der Verfassung 1995 begann, waren die Sozialdemokraten zunächst dafür, die Vorrechte des Staatspräsidenten zu erhalten. Dies wohl auch deshalb, um
Staatspräsident Ahtisaari, der nur ein Jahr vorher ihr Kandidat gewesen war, nicht zu desavouieren. Es waren dann aber vor allem die parlamentarischen Verhandlungen, bei denen man sich darauf
einigte, die Macht des Präsidenten einzugrenzen und jene der Regierung und des Parlaments zu stärken.
Der Kern der Verfassungsreform liegt bei der Einschränkung der Kompetenzen des Staatspräsidenten. In der Außen- und Sicherheitspolitik wird durch die neue Verfassung die Regierung gestärkt, bei der
Regierungsbildung erhält das Parlament eine maßgebliche Mitsprache. Hat der Staatspräsident die Außenpolitik vielfach alleine bestimmt, so heißt es in der neuen Verfassung: "Die Außenpolitik wird vom
Präsidenten in Zusammenarbeit mit der Regierung geleitet". Bei entgegengesetzten Standpunkten ist allerdings weiter der Staatspräsident ausschlaggebend. Für die EU-Politik wird allerdings die
Regierung zuständig sein.
Neu geregelt wird auch die Bestellung einer neuen Regierung: Wurden der Ministerpräsident und die Minister bisher vom Staatspräsidenten, nach Anhörung der Parlamentsfraktionen, ernannt, so wird der
Ministerpräsident in Zukunft vom Parlament gewählt. Der Staatspräsident muß jenen Kandidaten zur Wahl des Ministerpräsidenten vorschlagen, auf den sich die Parlamentsfraktionen geeinigt haben. Er muß
dann auch jenen Ministerpräsidenten ernennen, den das Parlament gewählt hat, sowie jene Minister, die der neue Ministerpräsident vorschlägt.
Machtverlagerung hin
zur Regierung
Im Dezember 1998 wurden 200 Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, Verwaltung und Kultur befragt, wer für sie zur Zeit der einflußreichste Finne ist. Die Antwort war deshalb bemerkenswert,
weil sie einige Jahre vorher noch unmöglich gewesen wäre. Damals war selbstverständlich der Staatspräsident am einflußreichsten. Nunmehr aber lautete das Votum eindeutig auf Ministerpräsident
Lipponen.
Diese Bewertung bestätigt eine Entwicklung, die sich schon seit einiger Zeit abgezeichnet hat und die auch in der Verfassungsnovelle zum Ausdruck gebracht wird: Die politische Macht hat sich vom
Präsidenten weg und hin zur Regierung, zum Parlament und auch zu den großen Konzernen verschoben.
Parlament mit neuem
Selbstbewußtsein
Der Artikel 2 der finnischen Verfassung hält fest: "Träger der Staatsgewalt ist das Volk, das von seinen im Reichstag versammelten Abgeordneten vertreten wird". Doch schon der nächste Absatz
schränkt die Kompetenzen des Parlaments erheblich ein, wenn es dort heißt: "Die gesetzgebende Gewalt wird vom Reichstag gemeinschaftlich mit dem Präsidenten der Republik ausgeübt".
Wenn das finnische Parlament ("Eduskunta") schon nach der Verfassung die gesetzgebende Gewalt nicht alleine ausüben konnte, so wurden in der Praxis seine Möglichkeiten noch mehr eingeschränkt. Denn
praktisch wurden die Gesetze von der jeweiligen Ministerialbürokratie ausgearbeitet, die Beschlußfassung im Parlament blieb weitgehend ein Formalakt, vor allem auch wegen des herrschenden Klubzwangs.
Man kann also, ähnlich wie in Österreich, von einer "Regierungs-Gesetzgebung" sprechen.
Natürlich hatte das Parlament immer die Funktion, als Forum für Diskussionen und damit als Plattform nach außen zu dienen. Aber sein politischer Spielraum wurde auch noch durch einen weiteren Faktor
stark eingeschränkt: Die Macht des Staatspräsidenten war so stark, daß dem Parlament in wesentlichen Fragen kaum ein Handlungsspielraum blieb. In den letzten Jahren hat nun das Parlament zunehmend
mehr Selbstbewußtsein gewonnen: Die Fraktionen der Regierungsparteien haben, bei aller Loyalität gezeigt, daß sie in Entscheidungsprozesse eingebunden werden wollen, die Verfassungsreform wurde
überhaupt im Parlament ausgehandelt und seit der EU-Mitgliedschaft wurde dem Parlament eine entscheidende Mitsprache in wesentlichen Fragen eingeräumt.
*
Wendelin Ettmayer ist Österreichs Botschafter in Finnland