"Kirgisien" ist im deutschen Sprachraum die gebräuchlichste Form, auch "Kirgistan" taucht auf, analog zum englischen "Kyrgyzstan", und manchmal kann man sogar "Kirgisistan" lesen. Die Verwirrung wird nicht geringer, wenn man die politische Landkarte der kirgisischen Republik betrachtet.
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Mehr als 30 Parteien sind registriert, etliche von ihnen werden von Leuten geführt, die Präsident Akajew aus einer seiner Regierungen verstoßen hat. Er regiert seit 1991 und galt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als "demokratische Hoffnung" in Zentralasien, wohl auch, weil er als einziger Führer in der Region nicht aus dem Parteiapparat der KPdSU stammte, sondern sich als Naturwissenschaftler mit einem Sinn für die Kunst von den benachbarten Machthabern abhob.
Zunehmend passte er sich aber den autoritären Gepflogenheiten in der Region an, vielleicht aus dem Zwang heraus, seine Reformpolitik gegen die alte Nomenklatura durchzusetzen - und gegenüber den Volksstämmen, denen das von Siebentausendern zerklüftete Hochland wenig Voraussetzungen zum Zusammenwachsen bietet.
Verschiedene Ethnien gibt es in Kirgisien reichlich, auch dem Umstand gedankt, dass die UdSSR bei der Grenzziehung ihrer in den 1920er-Jahren entstandenen Provinzen auf kulturelle Unterschiede kaum Rücksicht nahm. So finden sich in dem Staat außer dem namensgebenden Volk der Kirgisen (60 Prozent Bevölkerungsanteil) 14 Prozent Usbeken, die sich vor allem im Fargana-Tal konzentrieren - Zentrum der jüngsten Unruhen. Bereits in der Vergangenheit hatte es zwischen den nomadisierenden Kirgisen und den sesshaften Usbeken immer wieder ethnische Spannungen gegeben.
Der Anteil der Russen, heute rund 12 Prozent, hat sich in den letzten Jahren drastisch reduziert. Da im zweitärmsten Land der Region viele Bergwerke und Fabriken bankrott machten, verließen russische Facharbeiter in Scharen das Land, was der ohnehin am Boden liegenden Wirtschaft weitere schwere Schläge versetzte. Noch immer wird die Zahl der Abwanderer auf jährlich 55.000 geschätzt. Auch von den einst 100.000 Deutschen, die teils schon im 19. Jahrhundert, später in Folge von Stalins Vertreibungen ins Land kamen, sind nur noch wenige Tausende übrig - sie ließen sich repatriieren. Jeweils einen rund einprozentigen Anteil an den 4,9 Millionen Einwohnern stellen Dungangen, Ukrainer und Ujguren, außerdem gibt es Tartaren, Kasachen, Tadschiken und andere Minderheiten.
Das bunte Völkergemisch ist aber nicht nur den jüngeren willkürlichen Grenzziehungen zu verdanken. Schon vor 2.000 Jahren zogen Karawanen auf der Seidenstraße von China über Kirgisien bis ans Mittelmeer. Im 13. Jahrhundert eroberte der Mongolenherrscher Dschingis Khan das Land, das später immer wieder Spielball zwischen rivalisierenden Staaten war, ehe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Russland die Herrschaft gewann.
Anders als etwa im Baltikum war der Wunsch nach Unabhängigkeit von Russland den zentralasiatischen Staaten kein brennendes Anliegen. Schon 1991 schlossen sie sich der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) an. Und obwohl Akajew Mitte der Neunziger einen stark kirgisisch-nationalistischen Kurs einschlug, kam es bald wieder zur Annäherung. 2001 wurde Russisch zur zweiten Amtssprache, und Russland bekam einen Militärstützpunkt bei Bischkek.
Den haben aber ebenso die Amerikaner, mit denen Akajew gleichfalls gute Beziehungen unterhalten will. Die USA haben jüngst bekannt gegeben, weitere Stützpunkte in der Region anzustreben - auch in Kirgisien.