Volksinitiative: Öffentliche Hand soll Kosten übernehmen. | Kritiker spricht von "geistiger Verunreinigung". | Zürich/Wien. Am 17. Mai 2009 sind die Schweizer dazu aufgerufen, über den allfälligen Verfassungsartikel 118a abzustimmen, der da lautet: "Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Berücksichtigung der Komplementärmedizin." Durchgesetzt wurde dies von einer Volksinitiative vor dem Hintergrund, dass die Schweizer Krankenkassen im Rahmen der Grundversorgung seit Juli 2005 außer Akupunktur keine alternativ-medizinischen Leistungen mehr abdecken. Stimmt eine Mehrheit für den Artikel, dürften nun Bund und Kantone künftig - in welcher Form auch immer - zur Kasse gebeten werden.
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Eines der Hauptelemente von CAM (Complementary and Alternative Medicine) ist die Homöopathie bzw. die Placebomedikation. Wissenschaftlich gesehen ist diese allerdings "auf Grund der heutigen Datenlage eine widerlegte Methode", sagt Edzard Ernst.
Ernst muss es wissen: Der gebürtige Deutsche, der einen Lehrstuhl für Physikalische Medizin und Rehabilitation an der Universität Wien hatte, wurde 1993 berufen, um das Institut für Alternativmedizin an der Universität Exeter einzurichten, wurde Direktor der Alternativmedizin an der Peninsula Medical School in Cornwall-Devon und ist der erste Inhaber des Laing-Lehrstuhls für Alternativmedizin. Weiters ist er Mitglied der britischen Medicines Control Agency, die über die Medikamentenzulassung bestimmt, Herausgeber zweier Fachzeitschriften und sitzt u. a. im wissenschaftlichen Komitee für kräutermedizinische Produkte des Irish Medicines Board sowie der Altermed Forschungsstiftung zur Untersuchung alternativmedizinischer Verfahren.
Kein Wirkungsbeleg
In mehr als hundert Fachartikeln publizierte Ernst, der auch in einem homöopathischen Spital gearbeitet hat, zum Thema und sagt heute in einem Interview mit dem "Tages-Anzeiger": "Die wissenschaftlichen Methoden sind zwar nicht geeignet, einen Negativbeweis (zur Homöopathie) zu erbringen. Aber irgendwann kommt man zum Punkt, an dem man die Wirkungslosigkeit einer Methode eingestehen muss. Denn über alle 200 vorliegenden Studien betrachtet ist die Wirkung nicht belegt."
Ernst trifft damit einen äußerst empfindlichen Nerv nicht nur zahlreicher Konsumenten, sondern auch von Herstellern, gar nicht so wenigen Ärzten und vielen Apothekern. Und er spielt den bekannten Effekt, dass diese Verdünnung und jene Globuli ja doch jemandem geholfen hätten, zu stark herunter, wenn er von seinem Standpunkt als Wissenschafter sagt: "Vor 150 Jahren hat man in der Medizin damit aufgehört, von Einzelfällen auf allgemein Gültiges zu schließen. Wenn wir wieder damit beginnen, mit Anekdoten Kausalitäten zu begründen, machen wir einen riesigen Rückschritt in der Medizingeschichte. Das wäre nicht nur bedauerlich, sondern auch gemeingefährlich."
Zuwendung und Preis
In der Praxis sieht dies nämlich etwas anders aus. Da räumen Ärzte in Anonymbefragungen durchaus ein, gewissen Patienten im Spital des öfteren Placebos (unwirksame Scheinmedikamente) zu verabreichen oder sie in der Ordination mit Homöopathie-Tipps ruhig und zufrieden zu stellen. Sowohl Placebos als auch Homöopathika wirken nämlich durchaus, wie Studien gezeigt haben, wenn auch unter bestimmten Voraussetzungen. Zu diesen zählt der Zuckergehalt der Präparate, der über eine Erhöhung des Serotoninspiegels sogar Schmerzen lindern kann, von Fall zu Fall noch effektiver sind aber Zuwendung und Empathie des Behandelnden oder Verkäufers und nicht zuletzt der Preis des Produkts: Was teuer ist, muss gut sein.
Aus der eigenen Tasche wollen es freilich die wenigsten bezahlen, daher die auch in Österreich immer wieder kehrenden Forderungen an die Sozialversicherungsträger nach Kostenübernahme und die Abstimmung in der Schweiz, die Ernst in einem von der "NZZ Online" eingerichteten Blog für Kritiker und Befürworter einen "Wettbewerb zur geistigen Verunreinigung" nennt.
Die Prinzipien des Professors für Alternativmedizin lassen es dabei an Deutlichkeit nicht fehlen: "Jegliche Art von Trost, aus dem eigenen Sack bezahlt oder gratis dargeboten", werde nicht verspottet. Aber "schwer kranke Menschen, denen leider nicht geholfen werden kann, sollen vor dem Abzocken durch Komplementärmediziner gewarnt werden". - Letztlich gehe es um nichts weniger, als "das Gesundheitssystem als Solidaritätsprinzip zu bewahren", so Ernst.