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Wer Zentralismus sät, wird Separatismus ernten

Von Franz Schausberger

Gastkommentare
Franz Schausberger war Landeshauptmann von Salzburg und ist Mitglied im Ausschuss der Regionen der EU.

Die Katalanen sind keinesfalls die dumpfen Nationalisten, als die sie von unwissenden Medien und Politikern im übrigen Europa hingestellt werden.


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Dieser Tage in Barcelona: Die ersten vorweihnachtlichen Dekorationen schmücken die alten Gassen, auch wenn man die Weihnachtsbescherung hier erst am 6. Jänner feiert. Alles scheint ruhig und normal zu verlaufen - und trotzdem liegt eine gewisse Spannung über der Stadt. Die Zentralregierung in Madrid bereitet Gesetze vor, die als Antwort auf die Wirtschaftskrise den Regionen und Kommunen Zuständigkeiten wegnehmen und zentralisieren. Mehr Zentralismus aus Einsparungsgründen. Weil die zentral verwalteten Dienstleistungen angeblich kostengünstiger sind als die durch die Regionen, Städte und Gemeinden angebotenen.

Das kommt gerade jetzt in Katalonien gar nicht gut an. Der Anteil der Katalanen, die für die Unabhängigkeit der Region sind, ist in den vergangenen Monaten sprunghaft angestiegen. Ob sie bereits die Mehrheit bilden, weiß man nicht. Das soll ein Referendum feststellen. Eine solche Abstimmung wird allerdings von der Zentralregierung verboten. Daher ist die katalanische Regionalregierung derzeit dabei, ein Gesetz für eine Volksbefragung vorzubereiten. Schon jetzt steht fest, dass die Zentralregierung in Madrid ein solches Gesetz beim Verfassungsgerichtshof anfechten wird.

Die Machthaber in Madrid sind Zentralisten der alten Franco-Schule. Und so agieren sie auch: Androhung der Einschränkung des Katalonischen, das eine eigene Sprache und nicht ein spanischer Dialekt ist, Zentralisierung von Kompetenzen und damit Beschneidung der katalanischen Autonomie, kulturelle Spanisierung etc.

Die Zentralmacht reagiert genau kontraproduktiv: mit Druck, Dialogverweigerung und Zentralisierung. Das ist der Nährboden, auf dem die Forderung nach Selbständigkeit und Abspaltung gedeiht. Die Katalanen sind keinesfalls die dumpfen Nationalisten, als die sie von vielen unwissenden Medien und Politikern im übrigen Europa hingestellt werden. Alle ihre verantwortlichen Politiker haben nach dem Ende der Franco-Diktatur versucht, die katalanische Identität und Kultur und ihre Eigenständigkeit innerhalb Spaniens zu bewahren. Heute sind sie überzeugt, dass sie dies nur noch außerhalb von Spanien können. Sogar der große alte Mann Kataloniens, der 83-jährige Jordi Pujol, ein leidenschaftlicher Europäer, der ein Vierteljahrhundert lang als Präsident der Region Katalonien loyal gegenüber Spanien war, sagt heute: "Ich bin nie für die Unabhängigkeit eingetreten. Aber nun bin ich zur Überzeugung gelangt, dass Katalonien keinen Platz innerhalb Spaniens hat. Die Aggression gegen Katalonien ist so groß wie nie zuvor. Deshalb müssen wir unseren eigenen Weg gehen."

Auch immer mehr gebürtige Spanier, die in Katalonien ihre Heimat gefunden haben, teilen diese Haltung. Wenn die Zentralisten in Madrid weiterhin eine Befragung der Bevölkerung unterbinden, werden binnen Jahresfrist 80 Prozent der Menschen in Katalonien für die Unabhängigkeit sein. Dann wird sich auch die EU rasch überlegen müssen, ob und wie sie ein neues, wirtschaftsstarkes Mitglied von 7,5 Millionen Einwohnern ausgrenzt oder in ihre Reihen aufnimmt.