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Wer zu spät straft. . .

Von Petra Ramsauer

Politik
Dschihadisten-Prozess gegen Mirsad O. im Landesgericht Graz unter Polizeibewachung.
© EXPA Pictures/Erwin Scheriau

Das fürchterliche Attentat von Nizza zeigt: Längst ist der Terror des Islamischen Staates zur globalen Bedrohung geworden. Harte Strafen gegen ihre Gründerväter wie den Hassprediger Mirsad O. kommen um Jahre zu spät.


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Wien. Es waren in erster Linie Hassprediger wie Mirsad O., die in ganz Europa den Boden für die brutale Ideologie des "Dschihadismus" aufbereiteten, die ab 2014 von der Terrormiliz des so genannten Islamischen Staates (IS) in fürchterliche Taten umgesetzt wurde. Erst am Mittwoch wurde der 37-jährige Prediger, der aus Ex-Jugoslawien stammt, in Graz - noch nicht rechtskräftig - zu 20 Jahren Haft verurteilt. Die Geschworenen befanden Mirsad O. für schuldig, Anhänger in Österreich für den IS rekrutiert zu haben, sowie des Verbrechens einer "terroristischen Organisation".

Unter seinem Kampfnamen "Ebu Tejma" führte er in Moscheen in Wien und Graz seinen Krieg der Worte. Jahrelang. Mindestens fünfzig "Foreign Fighter" dürfte er rekrutiert haben. Sein Gebetshaus in Wien-Leopoldstadt frequentierten unter anderem der später in Syrien getötete ausgereiste Österreicher Firas Houdini, auch die beiden Wiener Teenager, die sich im April 2014 als "Dschihad-Bräute" der Terrormiliz anschlossen, hörten sich seine Predigten an.

7000 Europäer beim IS

Die Verhaftung von Mirsad O., Teil einer spektakulären österreichweiten Polizei-Aktion, erfolgte im November 2014. Möglicherweise viel zu spät. Bereits seit 2009 war er als Prediger in Österreich aktiv. Der Veteran des Bosnien-Krieges, wo er auf Seiten der "Gotteskrieger" gekämpft hatte, galt als militarisierter Islamist, der seine Kampferfahrung mit der religiösen Ausbildung in Saudi-Arabien verwoben hatte. Ab 2012 begannen in ganz Europa radikale Islamisten wie er für den Krieg in Syrien Freiwillige zu gewinnen, aber schon viel früher spielten sie eine maßgebliche Rolle bei der Entstehung von Terrornetzwerken in den eigenen Ländern, bei der Aufhetzung vieler. Einige reisten aus, doch manche blieben und konnten sich mit Unterstützung des "IS" als Terror-Staat koordinieren und professionalisieren. Die Gefahr, die von den Daheimgebliebenen ausgeht, ist längst ebenso groß wie von den Ausreisenden.

Bis zu 7000 Europäer und Europäerinnen sind in den folgenden Jahren Richtung IS gezogen; aus Österreich kamen mindestens 278. Mittlerweile ist der Strom der Ausreisen versiegt. Maßgeblich liegt dies daran, dass die Einreise über die Türkei schwierig geworden ist, vor allem aber, dass der IS, der unter massiven militärischen Druck steht, an Boden verliert. Seit Jänner 2016 gehen die Ausreisen aus Österreich etwa signifikant zurück, Anfang Jänner zählten die Verfassungsschützer noch ein halbes Dutzend, seither gibt es kaum noch Meldungen. Die Bedrohung verlagert sich nun eher in die entgegengesetzte Richtung: Die Angst vor den Rückkehrern und ihres Rekrutierungspotenzials wächst.

Warten in der Deckung?

Auch die Verhaftung von Mirsad O. dürfte dazu beigetragen haben, dass weniger von hier ausreisten. Doch nur ein kleiner Teil von den Attentätern, die zuletzt im Namen des IS fürchterliche Gewalt verübten, war ehemalige aktive Teile des IS-Heeres in Syrien. Viele warteten hier in Deckung auf den Moment, in dem sie zuschlagen. So auch jener 31-Jährige, der am Donnerstag mit einem Lkw über hundert Menschen in Nizzas Strandpromenade niedermähte.

Sämtliche Experten nehmen seit den verheerenden Terroranschlägen in Brüssel, in Istanbul, in Bagdad und nun auch in Nizza eine bedrohliche Veränderung der Strategie der Gruppe war. Vom Krieg in Nahost soll nun der globale Terrorkrieg starten. Dies mit allen Mitteln.

Terror auch in der Heimat

Erst im Mai rief Abu Mohammed al-Adnani, der Sprecher der Gruppe, die Anhänger dazu auf, in ihren Heimatländern zuzuschlagen. Es ist eine Taktik, die von den Terrorchefs bereits seit Jahren verfolgt wird. Neben dem Staat in Teilen Syriens und des Iraks wurde eine global agierende Armee des "führerlosen Dschihads" aufgebaut. Im Namen des IS sollte jeder jederzeit zuschlagen können. Ein Bekenntnis via soziale Medien reichte dazu. Sie sollten für eine permanente Drohkulisse sorgen. Eine Anleitung namens "Wir die einsamen Wölfe des IS" wurde ins Netz gestellt und zeigte, wie sie Terror verbreiten können, wo auch immer sie sind. In dem Leitfaden wird auch gezeigt, wie Lkw, mit Waffen bestückt, zu Massenmordinstrumenten werden können.

Es ist der Terror der fürchterlichsten Art, gegen den es keinen Schutz zu geben scheint. "Tötet die Ungläubigen, wo immer ihr sie findet. Wenn ihr keine Bombe oder kein Gewehr habt, nehmt ein Fahrzeug und überrollt sie." Bereits im September 2014 hat Adnani jene zu solchen Taten aufgerufen, die nicht ausreisen wollten. Damals rief er dazu auf, "schmutzige Franzosen zu töten. Mit einem Messer, einer Bombe oder mit was auch immer." Nur wenige Monate später rief auch der österreichische Propaganda-Chef des IS, Mohammed Mahmoud, per Video-Botschaft dazu auf, "im eigenen Land aktiv zu werden".

Die Saat geht auf

Damals waren Hassprediger wir Mirsad O. noch auf freiem Fuß. Er konnte in Moscheen von Bosnien bis Österreich seine Sicht des Dschihads verbreiten. Es ist eine Saat, die jetzt aufgeht und mit den harten Strafen gegen ihn nun nicht mehr in den Griff zu bekommen ist. Der Attentäter von Nizza war zwar als Kleinkrimineller der Polizei aufgefallen, aber nicht den Terror-Fahndern. Längst haben die Sympathisanten der Gruppe gelernt, eigenständig von ihren Führen zu agieren. Sei es jenen in einschlägigen Moscheen, aber auch den Führern in den IS-Hochburgen Raqqa und Mossul, die bald selbst auf der Flucht sein dürften.

Genauso wenig lässt sich die globale Bedrohung anscheinend mit der militärischen Offensive in Syrien und dem Irak stoppen. 40 Prozent des Gebietes hat der IS alleine heuer verloren. Doch sein Gefahrenpotenzial habe sich längst von der staatlichen Präsenz abgelöst. "Unsere zum Teil erfolgreichen Angriffe im Nahen Osten haben es nicht dazu geführt, die Fähigkeit des Islamischen Staates zu verringern, weltweit Anschläge auszuüben", betonte erst im Juni CIA-Direktor Johan Brennan bei einem Hearing im US-Senat. Im Gegenteil: Je mehr die Gruppe in Syrien und Irak in Bedrängnis gerät, desto höher wird die Anschlaggefahr.

Einen Tag nachdem einer der wichtigsten Führer des IS, Militär-Chef Abu Omar al-Schischani, nahe Mossul getötet worden war, geschah der fürchterliche Anschlag von Nizza. Nur wenige Stunden später kursierten auf sozialen Medien Propaganda-Pamphlete von IS-Anhängern, die Symbole Frankreichs und das Konterfei al-Schischanis. "Das Blut unserer Führer verwandeln wir zu Feuer," hieß es dazu. Dann wurde Nizza zum Ziel.