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Risikogruppen oder Junge mit den meisten Kontakten? Argumente, die bei Österreichs Impfstrategie ins Gewicht fallen.
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Wenn der Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer wie erhofft bis Weihnachten zugelassen wird, ist den zuständigen Wissenschaftern zu gratulieren und bezüglich der Corona-Krise ein Aufatmen in Sicht. Damit das Vakzin aber so bald wie möglich ein Leben ohne Restriktionen ermöglicht, müssen die Regierungen die richtigen Entscheidungen zur Verteilung treffen.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober will eine Impfquote von mindestens 50 Prozent erreichen. "Wir schaffen im Rahmen des EU-Beschaffungsvorgangs die Voraussetzung dafür und werden für acht Millionen Menschen eine ausreichende Menge an Impfstoff bereitstellen. Alle in Österreich lebenden Personen sollen sich auf freiwilliger Basis impfen lassen können", meinte er zuletzt. Parallel würde auch mit anderen Herstellern verhandelt, die eine Impfung in der Pipeline haben. "Wir bereiten die Impfstrategie und Impflogistik vor."
Da die Vakzin-Herstellung aufwendig ist und jenes von Biontech/Pfizer eine anspruchsvolle Kühlkette benötigt, stellt sich die Frage der Priorisierung. Wer soll zuerst geimpft werden? Die deutsche Bundesregierung will auf Empfehlung der Ständigen Impfkommission des Robert Koch-Instituts mit älteren Personen, Risikogruppen, Krankenschwestern, Ärzten und Pflegepersonal beginnen. 60 Impfzentren sollen etabliert, medizinisches Personal soll geschult und eine Datenbank zu geimpften Personen aufgebaut werden. Auch das Vereinigte Königreich stellt laut dem Fachjournal "The Lancet" Risikogruppen an die erste Stelle.
Deutsches Vorbild
Österreichs Impfstrategie soll auf ähnlichen Überlegungen beruhen. Um zu verhindern, dass Infizierte sterben müssen und das Gesundheitssystem kollabiert, sollen Risikogruppen und Mitarbeiter des Gesundheitssystems zuallererst gegen die Infektion mit Sars-CoV-2 immunisiert werden, heißt es aus Expertenkreisen. Als Nächstes sollen Personen, die das öffentliche Leben aufrechterhalten, an die Reihe kommen - also Einsatzkräfte, Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe oder Unternehmen mit häufigem Personenkontakt.
Was aber, wenn dies nicht der beste Weg ist, um die Verbreitung des Coronavirus in den Griff zu bekommen und die Pandemie zu bekämpfen? Ein Modell der Khalifa University in Abu Dhabi legt nahe, dass Personen mit der höchsten Anzahl an täglichen Kontakten zuerst geimpft werden sollten. Dies würde die Effektivität der Immunisierung erhöhen, da Personen mit intensiven Sozialkontakten weniger Infektionen verursachen und auch ihre Kontakte Covid-19 nicht weitergeben könnten. Laut dem Modell könnte der Zugang, jüngere und berufstätige Personen ohne Symptome gegenüber Älteren zu priorisieren, die Todesrate um 70 Prozent senken und mehr Immunität pro Impfdosis erzielt werden. Das Team um den Ingenieur Jorge Rodríguez und den Mediziner Juan M Acuña reiht Gesundheitspersonal an die erste und junge Berufstätige, Personen in der Tourismusbranche, Studierende sowie Schulkinder an die zweite Stelle eines Impfplans.
Ein ähnlicher Ansatz wird übrigens von immer mehr Ländern bei der saisonalen Grippe-Impfung verfolgt. Obwohl junge Menschen eher leichtere Verläufe von Influenza erfahren, geben sie die Infektionskrankheit häufiger weiter als Ältere. Allerdings senken Impfprogramme, die sich vorwiegend an Ältere wenden, die Todesraten nur unzureichend. Grippe-Impfaktionen wenden sich daher zunehmend auch an jüngere Bevölkerungsgruppen und sogar Kinder.
Die meisten Covid-Impftests zielen aber in erster Linie weder auf Hochrisikogruppen und Personen über 65 noch auf Kinder ab, sondern auf eine breite Bevölkerung, da die Impfung ja für alle wirken soll. Eine rasche Impfung für Junge wie Ältere könnte daher sogar die Datenlage verbessern, wozu es jedoch - logischerweise - ethische Bedenken gibt.
Zum Impfstoff von Biontech/Pfizer ist den meisten Menschen derzeit nur die Ausendung des Unternehmens bekannt. Seine Eigenschaften würden von der Firma erst nach der Einreichung bei der Arzneimittelbehörde öffentlich gemacht, betont Herwig Kollaritsch, Facharzt für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin in Wien und Mitglied des Österreichischen Impfgremiums zur Strategie.
Keine Zulassung für Junge
"Eine Immunisierung junger Menschen macht nur bei einem infektionsverhütenden Impfstoff Sinn. Wenn die Impfung die Krankheit nur verhindert, die Weitergabe der Infektion aber nicht, ist eine Immunisierung der epidemiologisch zwar wichtigen, aber von der Krankheitslast praktisch nicht betroffenen jungen Menschen sinnlos und ohne Effekt auf die Ausbreitung und Krankheitslast der älteren Bevölkerung", sagt Kollaritsch zur "Wiener Zeitung. Und: "Es ist noch nicht bekannt, ob ein in nächster Zukunft erhältlicher Impfstoffe infektionsverhütend sein wird - es ist aber eher unwahrscheinlich. Dazu kommt, dass zumindest der Pfizer-Impfstoff für unter 18-jährige keine Zulassung beantragen wird."
In der strategischen Pipeline stehen daher verschiedene Zugänge: Wenn ein Vakzin primär den Schweregrad des Krankheitsverlaufs abmildert, ist der individuelle Schutz von Risikogruppen im Vordergrund. Wenn die Impfung aber (auch) die Weitergabe von Covid-19 verhindert und Herdenimmunität ermöglicht, könnten Populationen, die vorwiegend für die Verbreitung verantwortlich sind, zuerst immunisiert werden, betonte kürzlich die Vakzinologin Ursula Wiedermann-Schmidt, ebenfalls Mitglied des Impfgremiums. Bei Sars-CoV-2 geht man davon aus, dass ein Mensch zwei bis drei weitere ansteckt. Damit die Infektionskette gestoppt wird, müssten 50 bis 70 Prozent der Bevölkerung sich impfen lassen. 54 Prozent der Österreicher würden dies laut einer Umfrage tun.