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Werben um eine zweite Chance

Von Walter Hämmerle

Politik

Sozialminister Herbert Haupt hat die FPÖ in der denkbar schwierigsten Situation seit gut 15 Jahren übernommen: Neun Tage sind es noch bis zur Nationalratswahl am 24. November - und die FPÖ kommt in den publizierten Umfragen nicht und nicht vom Fleck. Im Gegenteil: Einige Meinungsforscher sehen die Freiheitlichen sogar nur mehr im einstelligen Prozentbereich. Haupt selbst zeigt sich von all dem unbeeindruckt. Er tourt durch Österreich und wirbt für eine "zweite Chance für die Freiheitlichen". Jörg Haider ist dabei allgegenwärtig: Sinn und Unsinn seiner Aktionen entzweien sogar die treuesten Anhänger. Haupt selbst stellt sich jedoch hinter seinen langjährigen politischen Weggefährten.


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Hinter dem Semmering beginnt, von Wien kommend, eine andere Welt. Nicht nur politisch, sondern auch meteorologisch. Während sich am vergangenen Montag der Herbst in der zugigen Bundeshauptstadt den hiesigen Wahlkämpfern von seiner unangenehmsten Seite zeigte, erwartete sie jenseits der Semmeringer Klimagrenze ein strahlend schöner Herbsttag. Kein Wunder, dass die Spitzen der heimischen Innenpolitik an diesem Tag dem nasskalten Wiener Grippewetter entflohen und für einige Stunden ihre Wahlkampfzelte in südlicheren Gefilden aufschlugen. So kam es, dass die steirische Hauptstadt an diesem Tag ein Stelldichein der drei Spitzenkandidaten von ÖVP, FPÖ und SPÖ erlebte.

Sozialpolitische Details . . .

Der Wahlkampftag begann für Herbert Haupt mit einem Besuch beim publizistischen Platzhirschen südlich des Semmerings, bei der "Kleinen Zeitung". Eine Stunde lang stand der freiheitliche Interims-Obmann und nun-doch-Spitzenkandidat den Anrufern Rede und Antwort in sozialpolitischen Detailfragen, nahm Glückwünsche von Gleichgesinnten für die schwere Aufgabe entgegen, die er mit diesem Amt übernommen hatte, und sah sich ein ums andere Mal mit der Person des Kärntner Landeshauptmanns, Jörg Haider, konfrontiert.

. . . und immer wieder Haider

Haider ist wieder da. Diese Tatsache begleitet den Sozialminister bei allen seinen Wahlkampfauftritten. Ihn zu erklären, zu verteidigen und zu rechtfertigen - dafür geht ein erklecklicher Teil der Redezeit Haupts "verloren", der wahrscheinlich gerade in Wahlkampfzeiten besser genutzt werden könnte.

Aber noch etwas wird bei dieser Telefonstunde deutlich: Ein Teil der blauen Basis hat genug vom Regieren im Allgemeinen und von einer Koalition mit der ÖVP im Besonderen. Man sehnt sich zurück in die Annehmlichkeiten der Opposition. Der Koalitionspartner muss als Sündenbock für die Misere herhalten, in der man sich auch neun Tage vor dem Urnengang noch immer befindet. Haupt wendet erhebliche Energien auf, um wortreich zu erklären, warum man sich von der ÖVP "hintergangen" fühlt und trotzdem eine "Fortsetzung der Reformpolitik für Österreich" anstrebt, die aber nur in einer neuerlichen Zusammenarbeit mit der VP möglich ist.

Eine Mutinjektion verabreicht schließlich der letzte Anrufer. Er rät Haupt, sich für den 24. November keine Sorgen zu machen: Die FPÖ schaffe sicher ein Wahlergebnis von 20 Prozent. Der Spitzenkandidat zeigt sich ob dieser Prognose erleichtert, dankt und meint - wohl in banger Vorahnung der vorgestrigen Entscheidung von Finanzminister Karl-Heinz Grasser - es sei gut, "wenn die Trittbrettfahrer weg sind".

Besuch im Frauenhaus

Für die nächste Station an diesem Wahlkampftag ist sowohl der Sozial- wie auch der Frauenminister Haupt gefordert. Ausgestattet mit einem Scheck über 7.200 Euro besichtigt Haupt die Grazer Frauen-Notschlafstelle. Hierzu erhält Haupt von der steirischen Spitzenkandidatin und stellvertretenden Parteiobfrau Magda Bleckmann Verstärkung. Die Einrichtung bietet bis zu zwanzig Frauen einen Schlafplatz, die nirgendwo sonst mehr einen finden. Man wolle wenigstens die Grundbedürfnisse dieser Frauen befriedigen, erklärt die Leiterin den wahlkämpfenden Besuchern. Finanziell wie personell sei man stets am Limit. Ohne ehrenamtliches Engagement wäre das Projekt zum Scheitern verurteilt. Die öffentlichen Gelder sind knapp, der Scheck hilft weiter.

Während der Fahrt zum nächsten Termin findet sich dann Gelegenheit zu einem Gespräch ein wenig abseits der aktuellen Wahlkampfhektik.

Zukunftsoption 2006

Als "Partei des kleinen Mannes" habe die FPÖ ein Potenzial zwischen 10 und 20 Prozent, meint Haupt. Die Partei dürfe trotz aller Hektik ihren Blick nicht allein auf die kommenden Monate verengen. Die FPÖ müsse sich ihre Zukunftsoptionen insbesondere im Hinblick auf das Jahr 2006 bewahren. Bis dahin müsse ein Weg gefunden sein, nicht zwischen den beiden großen politischen Blöcken SPÖ und ÖVP zerrieben zu werden. Vom Anspruch, selbst ein eigenständiger Block zu sein, hat man sich für den Moment offenbar verabschiedet.

Vergangenheitsbewältigung

Natürlich sei es erfreulicher im Wahlkampf über Zukunftsthemen zu diskutieren als ständig über Ereignisse in der Vergangenheit, gesteht Haupt. Dennoch sei die Grundstimmung ihm gegenüber positiv. Dass sich hinter all den Wortmeldungen und Interviews des Kärntner Landeshauptmanns nach wie vor eine schlüssige strategische Linie verbirgt, daran zweifelt Haupt keinen Augenblick. Wohl auch deshalb entschlüpft ihm gegenüber Außenstehenden kein kritisches Wort über den langjährigen politischen Weggefährten. Dass dieser eine neuerliche Koalition mit der ÖVP ablehnt, beirrt Haupt in seiner Regierungswilligkeit nicht. Er ist überzeugt, ein in der FPÖ mehrheitsfähiges Verhandlungsergebnis zustande zu bringen, sollte ihm das Wählervotum die Chance dazu geben.

Später, bei einer Wahlkampfkundgebung am Grazer Hauptplatz, wirbt der Wahlkämpfer Haupt vor einer Hand voll Zuhörer dann "für eine zweite Chance für die FPÖ, die wir uns verdient haben". Mit Schreckensszenarien im Falle von Rot-Grün und einer gehörigen Portion Skepsis gegenüber der EU-Erweiterung kämpft Haupt gegen den Lärm eines nahen Wasserstrahlers an. In früheren Wahlkämpfen war es für die FPÖ ein Leichtes, den Platz zu füllen. Im Herbst 2002 begnügt man sich mit einem kleinen Stand, wo Brezeln, Tee und Glühwein als Zusatz zu den unvermeidlichen Wahlkampf-Geschenken verteilt werden.

In den direkten Gesprächen mit den Bürgern dominiert dann aber doch wieder ein Thema: Was ist los mit dem "Jörg"? Selbst - nach eigener Aussage - langjährige FPÖ-Anhänger können die Wendungen und Schachzüge des Kärntner Landeshauptmannes nicht länger nachvollziehen. Ihnen allen steht Haupt geduldig Rede und Antwort. Eine ältere Frau meint: "Haider ist wie der Wind. Das sind zwar alle Politiker, er aber hat es für meinen Geschmack doch etwas übertrieben."

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Rücktrittswelle in der FPÖ macht Haupt zur Nummer 1

Für Sozialminister Herbert Haupt ist die Rolle des Spitzenkandidaten nichts Neues. Schon am 11. September war er für diese Funktion designiert, nachdem Parteichefin Susanne Riess-Passer ihren Rücktritt erklärt hatte. Kurz darauf ließ Haupt dann aber Infrastrukturminister Mathias Reichhold den Vortritt. Die 96,1 Prozent, die Haupt beim Oberwarter Parteitag als Reichholds Stellvertreter einfuhr, sichertem ihm dann nach dem krankheitsbedingten Ausfall Reichholds die Kür zum Interims-Obmann und neuerlichen Spitzenkandidaten.

Haupt wurde am 28. September 1947 in Seeboden, Kärnten, geboren. Seit 1977 ist Haupt als Tierarzt in Spittal tätig. 1986 kam er in den Nationalrat, im Oktober 2000 löste er Elisabeth Sickl als Sozial- und Frauenminister ab. Mit Jörg Haider verbindet ihn eine lange politische und persönliche Freundschaft.