Zumindest im Europäischen Parlament dürfte die EU-Verfassung ohne Schwierigkeiten die heutige Abstimmungsprobe bestehen. Abgeordnete der vier größten Fraktionen sprachen sich gestern für ein positives Votum aus.
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Die Aufzüge waren schuld. Sie machte EU-Parlamentspräsident Josep Borrell für seine Verspätung zur Plenardebatte verantwortlich - um gleich darauf mit "einer der wichtigsten Aussprachen in dieser Legislaturperiode" zu beginnen. Heute wollen die Abgeordneten über die EU-Verfassung abstimmen.
Zustimmung dafür wurde schon bei der gestrigen Sitzung geäußert. So wollen die Mitglieder der Europäischen Volkspartei (EVP) "ohne jede Einschränkung" Ja zur Verfassung sagen, kündigte Fraktionsvorsitzender Hans-Gert Pöttering an. Denn darin würden "Werte, die wir als christliche Werte empfinden", festgeschrieben.
Auf diese verwies auch der Fraktionsführer der sozialdemokratischen Fraktion, Martin Schulz: "Egal ob als Jude, Moslem oder ungläubiger Mensch" - die "universellen, unteilbaren, für alle gültigen Werte" könnten akzeptiert werden. Daher werde die sozialdemokratische Fraktion "aus tiefer Überzeugung" dem Vertragswerk zustimmen. Ähnlich argumentierten die Liberalen.
Zurückhaltender war Monica Frassoni, Ko-Vorsitzende der Grünen. Die Verfassung sei "in gewisser Weise unvollständig, aber wir können nicht darauf verzichten", erklärte sie. Die Grünen planen bereits ein Volksbegehren zur Änderung des Dokuments, nach dessen Ratifizierung.
Dieser Prozess könnte allerdings noch Probleme bringen. Denn um in Kraft zu treten, muss die Verfassung noch in allen EU-Staaten ratifiziert werden. Ob sie bei allen Volksabstimmungen angenommen wird, bleibt dabei offen. In Brüssel wird bereits auf die Konsequenzen einer Nicht-Annahme hingewiesen: Immerhin solle das Vertragswerk die Union demokratischer und Entscheidungsprozesse effizienter machen.
Warnung vor Verzögerung
Auch EU-Ratsvorsitzender Jean-Claude Juncker warnte vor den Folgen des langwierigen Ratifizierungsprozesses, der sich über zwei Jahre ziehen könnte. In dieser Zeit bestehe die Gefahr, dass wichtige Entscheidungen mit Rücksicht auf die Referenden verschoben werden, stellte Juncker fest.
In Frankreich, wo voraussichtlich im Juni die Bevölkerung über die Verfassung abstimmt, will Staatspräsident Jacques Chirac nun verstärkt Werbung für das Vertragswerk machen. Ab heute lädt er alle Vorsitzenden der im Parlament vertretenen Parteien in den Elysée-Palast, um mit ihnen die Maßnahmen dafür zu besprechen. Dabei betont er immer wieder, dass das Referendum nicht in Zusammenhang mit einem möglichen EU-Beitritt der Türkei gebracht werden dürfe. Diese Frage ist nämlich in Frankreich weit umstrittener als die EU-Verfassung.