Verona/Rom - Ein nächtlicher Überfall von drei Jugendlichen auf einen katholischen Religionslehrer jüdischer Herkunft in Verona erschütterte in den letzten Tagen ganz Italien. "Scheißjude, raus aus Verona" brüllten die drei Maskierten, während sie ihren ehemaligen Lehrer verprügelten, der in der Religionsstunde über den Holocaust gesprochen hatte, im Vorjahr mit seiner Schulklasse nach Dachau gefahren war und vor der politischen Gefahr durch Jörg Haider gewarnt hatte. "Rassismusalarm" titelte die größte italienische Tageszeitung "la Repubblica" und tatsächlich reiht sich der nächtliche Überfall von Verona in eine ganze Reihe von Ereignissen in den letzten Wochen.
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Der Veroneser Religionslehrer Luis Marsiglia hatte schon seit einiger Zeit Drohanrufe und anonyme Schreiben bekommen. Zu Beginn des neuen Schuljahres war er von der "Maffei"-Schule in eine andere Lehranstalt versetzt worden, weil sich die Eltern einiger Schüler darüber beschwert hatten, dass er im Religionsunterricht zuwenig über das Leben der Heiligen und zuviel über die politische Gefahr von Rechts gesprochen habe. "Marsiglia, Scheißjude, endlich bis du draußen aus dem Maffei. Es siege Christus" lautete ein aus aufgeklebten Zeitungsbuchstaben zusammengesetztes anonymes Schreiben an den Religionsprofessor, bevor er zusammengeschlagen wurde.
"Ich habe erklärt, dass die Gesellschaft, aus der Hitler hervorgegangen ist, nicht so verschieden von der ist, die heute Haider applaudiert", sagte Marsiglia in einem Interview mit "la Repubblica".
Während viele seiner ehemaligen Schüler die ersten Nächte nach dem Überfall mit ihrem Lehrer verbrachten, der in der Zwischenzeit eine staatliche Eskorte bekommen hat, bahnte sich der nächste rassistische Skandal an. Auf der Web-Site des stellvertretenden Fraktionschefs der postfaschistischen Alleanza Nazionale (AN), Maurizio Gasparri, tauchten Briefe auf, die die Tat von Verona noch guthießen. "Die Prügel hat sich der Professor mit der Laterne gesucht und gefunden" und "Die Juden haben eine weitere Gelegenheit versäumt, den Mund zu halten" schrieben faschistische Teilnehmer des Internet-Forums, die gar nicht so post waren, wie sich die AN gerne gibt. Erst als Linksabgeordnete den Skandal aufdeckten, schloss Gasparri seine Web-Site.
Das italienische Rassismusproblem liegt aber nicht in erster Linie bei obskuren Gruppen, so ernst auch diese zu nehmen sind, sondern darin, dass durchaus ernstzunehmende Persönlichkeiten des politischen und gesellschaftlichen Lebens Ideen von gestern wieder salonfähig machen. So machte sich etwa der für seine erzkonservative Haltung bekannte Erzbischof von Bologna, Kardinal Giacomo Biffi, kürzlich Sorgen um die nationale Identität und sprach sich gegen die Einwanderung von Mohammedanern aus.
Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano stellte sich vorsichtig hinter seinen Amtskollegen, während zahlreiche katholische Organisationen, an ihrer Spitze die Caritas, klare Distanz zeigten. Während sich Oppositionschef Silvio Berlusconi und Alleanza-Chef Gianfranco Fini vorsichtig zeigten und davor warnten, Religion und Politik zu vermischen, jubelten zahlreiche Vertreter von Umberto Bossis Lega Nord darüber, dass der Kardinal "endlich ein Tabu gebrochen" habe.
Die Lega Nord, die im Frühjahr in das Bündnis mit Berlusconi zurückgekehrt ist, das sie 1994 nach nur einigen Monaten Regierungszusammenarbeit verlassen hatte, setzte im Wahlkampf für die im kommenden Frühjahr stattfindenden Parlamentswahlen voll auf Anti-Ausländerstimmung. Berlusconi hat in Hinblick auf eventuelle EU-Sanktionen alle Hände voll zu tun und hat sich prompt in den letzten Tagen mit europäischen Regierungschefs Besuchstermine ausgemacht, um dem vorzubauen. Dabei wird er nicht müde, immer wieder zu erklären, dass er für seinen Bündnispartner Umberto Bossi die Hand ins Feuer lege. Der macht es ihm mit seinen Eskapaden allerdings nicht leicht. Die Schläge für Professor Marsiglia erklärte sich der Lega Nord-Chef mit einer "Volksreaktion auf ein permissives Klima", für das er die Mitte-Links-Regierung verantwortlich macht, die "die Türen für Immigranten und Homosexuelle geöffnet hat". Von Antisemitismus will Bossi, dem man dahingehende Vorwürfe macht, natürlich nichts wissen. "Die Lega ist ein Freund der Juden. Ich komme aus einer Familie, die 220 von ihnen gerettet hat" verteidigt er sich wie einer, den man wieder einmal bei einer unsäglichen Äußerung erwischt hat. Erst kürzlich hat er mit Ausfällen gegen Freimaurer und Homosexuelle, aber auch gegen den Bürgermeister von Rom, Francesco Rutelli für Empörung gesorgt. In Anspielung auf dessen adoptierten Sohn meinte er, Premier dürfe nur jemand werden, der "echte, eigene Kinder" hat. Da grauste selbst der Gattin von AN-Chef Fini, die sich für Rutelli in die Bresche warf.