Spardruck auf die Ärzteschaft wächst. | "Goldstandards" geraten in Gefahr. | Patienten bleiben im Ungewissen. | Wien. Im Gesundheitsbereich muss gespart werden, vor allem bei den Ausgaben für Medikamente. Die magischen Begriffe lauten hier "Generika" (Kopien von Originalpräparaten nach Ablauf des Patentschutzes) und "Biosimilars" (generische Kopien gentechnisch hergestellter Wirkstoffe). Sie sind in der Regel - wenn auch nicht immer und unter gewissen Umständen nur vordergründig - preisgünstiger.
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Auf den Markt drängen aber auch zunehmend "Analoga" (ähnlich wirkende, aber anders gebaute Medikamente) mit dem Versprechen, einige Zeit nach ihrer Einführung billiger zu werden, sobald die Entwicklungskosten gedeckt sind. In allen Fällen geht es jedenfalls um das Geschick der zuständigen Behörden, Ämter und Verbände, Rabatte und niedrige Preise auszuhandeln, womit nicht zuletzt die Politik ins Spiel um die Gesundheit kommt.
Allerdings wird nun immer öfter augenfällig, dass auch diese Medikamente vor allem hinsichtlich unerwünschter Neben- und Folgewirkungen spezifisch problematisch sind beziehungsweise dass diese Problematik von den Verantwortlichen bisher wohl unterschätzt wurde. So wird etwa nicht geprüft, ob Generika auch untereinander bioäquivalent sind (mit Bioäquivalenz ist gemeint, wie schnell, in welcher Menge und Darreichungsform der Wirkstoff im Körper freigesetzt wird).
Laut den deutschen Pharmaexperten Georg Kojda und Dieter Hafner "kann die Abweichung zwischen Generika wesentlich größer sein als die Abweichung zum Originalpräparat".
Aut-idem-Regelung
Gemäß der deutschen Aut-idem-Regelung müssen die Ersatzpräparate die Voraussetzung der Bioäquivalenz entsprechend bestimmten Parametern im Blutplasma erfüllen, wobei Abweichungen zwischen immerhin minus 20 Prozent und plus 20 Prozent akzeptiert werden. Kojda und Hafner am fiktiven Beispiel eines Hypertonikums in "Pharmazeutische Zeitung online": "Stimmen diese Parameter nicht überein, kann das schwerwiegende Folgen für den Patienten haben." Etwa bis zu einem Herzinfarkt.
Als besonders problematisch, weil schwierig einzustellen, gelten Generika laut den Fachleuten bei den Therapien u. a. von Epilepsie, Schizophrenie, Depression (Burn-out-Syndrom), chronischen bzw. starken Schmerzen, Herzrhythmusstörungen, venösen Thrombosen, Mykosen, HIV, Tuberkulose, Malaria und chronisch entzündlichen Erkrankungen. - Der Aut-idem-Austausch bei problematischen Arzneistoffen und Therapien sei also keineswegs unbedenklich, so der Schluss der Autoren.
Nun konnte die österreichische Ärzteschaft bekanntlich eine Aut-idem-Regelung wie in Deutschland im Frühjahr abwehren - in der Praxis findet sie sich freilich jetzt schon unter dem Spardruck von Hauptverband und Kassen auf die Mediziner weitgehend umgesetzt. Mit Folgen, deren gravierendste sich auf dem Sektor der Antibiotika mit dem Paradebeispiel Ciprofloxacin abzeichnet.
Resistenzbildungen
Ciprofloxacin war vormals ein hochwirksames Medikament gegen schwere Infektionen, seit Einführung des billigen Nchahmeprodukts verbuchte Univ.-Prof. Helmut Mittermayer vom Nationalen Referenzzentrum Linz bereits im Jahr 2007 einen Wirkungsverlust durch Resistenzen in 27 Prozent der Fälle gegenüber sieben Prozent zuvor (neuere Daten werden demnächst bekanntgegeben). Fazit: "Antibiotische Billigprodukte führen zu Mehrverschreibungen und diese zu Mehrresistenzen. Ergo ist Preissenkung ein direkter Motor für gefährliche Resistenzentwicklungen."
Nicht identisch
Unter Österreichs Spitalsfachärzten herrscht hingegen emormer Unmut über eine explizite Weisung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, statt des bisher bewährten Erythropoetins (Epoetin alpha/Epo) Neupogen das Follow-on-Biological Filgrastim zu verwenden. Ein besonders heikler Fall - nicht, weil Epo als Dopingmittel Schlagzeilen machte, sondern weil das Glykoprotein-Hormon als Blutwachstumsfaktor bei einer Reihe schwerer Erkrankungen zum Einsatz kommt, also etwa zur Behandlung von Blutarmut bei Dialysepatienten, nach aggressiven Chemotherapien, bei Leukämien oder fortgeschrittener HIV-Infektion.
Hintergrund dieser Aut-idem-Weisung, die es nicht einmal im neuerdings so restriktiven Deutschland gibt, dürfte die Annahme sein, dass das Nachfolgepräparat ohnehin gleichwertig sei. Doch "similar" ist zwar gleichartig, aber eben nicht identisch, was für Patienten und die behandelnden Ärzte ein Risiko bedeuten könnte. - Dennoch dürfen nur bei jenen Patienten, die schon lange mit dem Original-Epo behandelt werden, Ausnahmen gemacht werden.
Wie "Goldstandards" der Therapie in Gefahr geraten können, zeigte sich jüngst auch, als das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (Iqwig) die Daten von rund 130.000 älteren Patienten mit Diabetes auswertete. Wie sich dabei herausstellte, erkrankten Patienten, die mit dem langwirksamen Analoginsulin Glargin (Handelsname Lantus) behandelt wurden, etwas häufiger an Krebs - umgerechnet vier Fälle mehr pro 1000 Patienten - als diejenigen gleichen Alters, denen eine vergleichbare Dosis Humaninsulin verordnet worden war.
Molekülveränderungen
Derzeit liegt die Beweislast beim Hersteller von Glargin (Sanofi-Aventis), das gegenüber dem (ebenfalls gentechnisch hergestellten) Humaninsulin nur einige Molekülveränderungen aufweist. Genau darin könnte nach Auffassung von Molekularbiologen aber die Ursache für eine gewisse Karzinogenität liegen.
Das Iqwig hatte indessen in einem Gutachten schon im Jahr 2006 die Überlegenheit der - übrigens teureren Analog-Insuline - gegenüber dem herkömmlichen Humaninsulin bezweifelt. Dass Lantus dennoch mit 72 Millionen Tagesdosen zum am häufigsten verordneten Analog-Insulin in Deutschland wurde, liegt ebenfalls an dessen veränderter Struktur, die zu einer rascheren Wirkung und einer besseren Steuerung der Therapie durch den Patienten führen soll.