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Werden Lohnsteuerzahler zum Suchtmittelmissbrauch verleitet?

Von Alfred Abel

Wirtschaft

Da haben wir ein echtes Problem. Das Einkommensteuergesetz ist bei freiwilligen Sozialleistungen der Betriebe ja nicht gerade kleinlich. Die im berühmten § 3 enthaltenen Steuerbefreiungen haben uralte Tradition und sogar wiederholt geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken getrotzt. Um so überraschender ist jetzt eine Kampfansage gegen diese Benefizien mit ungewohnten Argumenten. Akribische Juristen orten in ihnen einen steuerlich geförderten Suchtmittelmissbrauch.


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Wenn der Innsbrucker Jurist Peter Pülzl den ominösen § 3 liest, stehen ihm "die Haare zu Berge". Er und andere Suchtmittelskeptiker sehen in einigen der steuerbefreiten betrieblichen Sozialzuwendungen eine Gefahr für die Gesundheit der Arbeitnehmer (und wohl auch ihrer Angehörigen). In der jüngsten Ausgabe der angesehenen Zeitschrift "Österreichisches Recht der Wirtschaft" eröffnet er besorgt die Diskussion "Steuerbefreiungen für Suchtmittel - reif zum Abschuss?"

Steuerfreie Sozialleistungen

Zu den vom Fiskus mit Lohnsteuerfreiheit versüßten freiwilligen betrieblichen Sozialleistungen gehören:

die freien oder verbilligten Mahlzeiten an Arbeitnehmer (außer an jene, die als Hausangestellte tätig sind),

die freien oder verbilligten Getränke, die zum Verbrauch im Betrieb abgegeben werden,

der Haustrunk im Brauereigewerbe, also jenes Freibier, das von den Brauereimitarbeitern nicht bloß im Betrieb konsumiert sondern auch nach Hause mitgenommen werden darf - auch für die Angehörigen also;

der Freitabak, die Freizigarren und Freizigaretten in tabakverarbeitenden Betrieben.

Schlupfloch Essensmarken

Die "freien (verbilligten) Mahlzeiten" hatten schon vor einigen Jahren für einen handfesten Wirbel gesorgt. Das steuerfreie betriebliche Verköstigungsangebot sollte nämlich zwar im Betrieb konsumiert werden (was häufig organisatorisch gar nicht möglich ist), kann aber auch im nahen Gasthaus ausgenützt werden. In manchen Fällen - offenbar sogar in vielen Fällen - fehlt jedoch das Wirtshaus um die Ecke (oder ist für die Arbeitnehmerschaft zu klein), weshalb der Betrieb Essensmarken ausgibt, die im Kilometerumkreis in Speis und Trank umgesetzt werden dürfen. Solche Essensmarken sind pro Arbeitstag bis zu 4,40 Euro steuerfrei; ihre Verwendung an arbeitsfreien Tagen oder etwa, um die gastronomischen Köstlichkeiten hübsch eingepackt nach Hause mitzunehmen, ist jedoch verpönt.

Weil aber Gasthausessen nicht immer und überall jedermanns Sache ist, bietet die Finanz auch eine kleinbetragliche Alternative an. Essensbons mit einem Wertbetrag bis 1,10 Euro dürfen steuerfrei auch zum Einkauf in Lebensmittelgeschäften, in Fleischhauereien, Fast-food-Ketten oder bei Würstelständen verwendet werden. Wobei nicht unbedingt nur feste Nahrung eingekauft werden muss, sondern auch Flüssiges in mehr oder weniger hochprozentiger Konzentration. Manche Einkaufstempel machen da an manchen Samstagen durch fleißige 1,10-Marken-Sammler einen hübschen Zusatzumsatz.

Freibier und Freitabak

Für das innerbetriebliche Getränkeangebot gibt es derlei kasuistische Winkelzüge nicht. Wenn es den Arbeitnehmern (frei oder verbilligt) zur Verfügung gestellt wird, fragt niemand danach, ob die Drinks coffeinhaltig, isotonisch oder promillegewichtig sind. Das Angebot läuft vielfach unkontrolliert über Automaten. Die Frage, warum es neben dem steuerbefreiten Getränkeangebot auch noch eine besondere Haustrunk-Steuerbefreiung geben muss, hängt mit einem Spezifikum der Brauereibetriebe zusammen. Dort dürfen die Arbeitnehmer traditionellerweise den Gerstensaft nicht nur innerbetrieblich verkosten sondern auch (steuerfrei) mit nach Hause nehmen, nur in Haushaltsmengen, versteht sich, und mit dem Verbot, das Bier womöglich außerbetrieblich zu verscherbeln.

Kleinhandel untersagt

Auch die Begünstigung für den Tabakwarenkonsum hat uralte Tradition. Zwar ist hier nicht ausdrücklich gesetzlich verankert, dass die Waren auch aus dem Betrieb weggetragen werden dürfen, aber das ergibt sich aus dem Kontext: sie dürfen den Eigenverbrauch befriedigen, wo immer. Ein Kleinhandel im Nebenjob ist auch hier ausdrücklich untersagt.

Gerade die beiden letzteren Sozialleistungen - Haustrunk und Tabak - haben den eingangs erwähnten Aufschrei der Suchtmittelgegner ausgelöst. Die "gesundheitsprophylaktisch bedenklichen Steuerbefreiungsregeln" werden kritisiert und dazu - sozusagen in einem Aufwaschen - auch gleich Ungleichheiten bei den Vorteilsklauseln angeprangert.

Gesundheitsfanatiker unter den Steuerzahlern sind zwar von der unerwarteten Breitseite aus dem Kreis der Finanzwissenschaftler überrascht, finden aber dann sogar noch weitere Kritikansätze. So könnten die steuerbegünstigten Mahlzeiten mit ihrem Essensbon-Schlupfloch dem Konsum alkoholischer und anderer suchtmittelhaltiger Getränke Tür und Tor öffnen. Gesundheitsschäden seien auch als Folge steuerbegünstigter Betriebsveranstaltungen mit ihren oft feuchtfröhlichen Schlussrunden oder nach Betriebsausflügen, die nicht selten in Heurigenlokalen oder sonst wo enden, denkmöglich.

Als kritischer Bereich könnte sich auch die betriebliche Gästebewirtung (in und außer Haus) erweisen, bei denen (vor allem leitende) Arbeitnehmer gezwungen werden, mit den Gesprächspartnern nicht nur Speisen sondern auch Aperitifs, prozenthaltige Begleitgetränke oder Digestifs besonderer Art zu konsumieren, ganz abgesehen von dem dabei entwickelten Zigarren- oder Zigarettendunst. Steuerberater verweisen darauf, dass die Bedenken der Suchtmittelgegner nicht bloß auf die Lohnsteuer gelenkt werden sollten. Auch das Umsatzsteuerrecht, das Familienlastenausgleichsgesetz und die Kommunalsteuer begünstigen den möglichen Missbrauch.

Die Frage, ob der Genuss von Steuerbegünstigungen womöglich suchtmittelabhängig macht, steht also im Raum. Das Wiener Juridicum sollte eine wissenschaftliche Studie in Auftrag geben. Inzwischen könnte mit einem Aufkleber auf den Gesetzbüchern das Auslangen gefunden werden: "Warnung des Finanzministers: Steuerbegünstigungen können gesundheitsschädlich sein!".

"Reif zum Abschuss"?

Unternehmer sehen dem jüngsten Vorstoß indes noch undifferenziert entgegen. Personalvertreter wollen sich nur off records äußern und die Abgeordneten in der Milchbar des Parlaments sind fraktionell geteilter Meinung. Die Finanzverwaltung könnte der Abschaffung der Benefizien freilich eine budgetfreundliche Note abgewinnen. Ob allerdings die EU einem Alleingang Österreichs zustimmen würde, ist unsicher. "Steuerbefreiungen für Suchtmittel - reif zum Abschuss?". Da haben wir ein echtes Problem.