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Der Nationalismus hat unterschiedliche Formen. | Parallelgesellschaften lösen primär im deutschen Sprachraum Ängste aus. | "Wiener Zeitung": Die Integrationsdebatte scheint je nach Staat sehr verschieden geführt zu werden.
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Kenan Güngör: Wenn Österreich, Deutschland und die deutschsprachige Schweiz vor irgendetwas Angst haben, dann sind es Parallelgesellschaften. Das Wort löst interessanterweise bei Nicht-Kontinentaleuropäern wie Engländern und Amerikanern keine Angst aus. Parallelgesellschaften gelten eher als gut, weil sie in der ersten Phase der Zuwanderung ein Auffangnetz für Immigranten sein können. Solange das Zusammenleben funktioniert, sind sie dort auch kein Thema. Auch wir leben ja gerne unter uns. Beim permanenten Schauen auf die Zugewanderten vergisst man zuweilen darauf zu achten, wie offen oder verschlossen die einheimische Bevölkerung ist.
Kann die geforderte Integration stattfinden, wenn sich die angestammte Bevölkerung verschließt?
Einem großen Teil derer, die gerne und lautstark Integration, Anpassung und Assimilation einfordern, nehme ich ihr Anliegen nicht ab; sie gehen hier ihrem Bezichtigungsbedürfnis nach. Fragt man sie, wie es für sie wäre, wenn Zuwanderer in ihrem Freundeskreis oder Stammtisch Platz nehmen oder gar um die Hand ihrer Tochter bitten würden, schauen sie einen verwundert an. Die Antwort lautet dann: Eigentlich nein, das wollen wir nicht. Wenn das Zusammenleben mit Zuwanderern unerwünscht ist, ist der Assimilationsansatz nicht zu Ende gedacht, denn Assimilation ohne Einbindung geht nicht. Assimilation heißt, dass Schwarzafrikaner, Türken und andere mit der heimischen Gesellschaft verschmelzen, zu Freunden und Familienangehörigen werden und sich als Österreicher sehen.
Manche Staaten propagieren Assimilation offen.
Die Türkei hat einen viel stärkeren, aber anderen Assimilationsansatz. Egal welcher Volksgruppe man dort angehört, muss man sagen, dass man Türke ist. Im deutschen Sprachraum sagt man hingegen: Assimiliert euch, aber bleibt unter euch.
Eine solche Assimilation ist dann gar keine?
Dieser Assimilationsansatz geht anders als in der Türkei nicht auf. Wer in der Türkei sagt: "Ich bin Türke", gehört dazu - und wehe er sagt das nicht. Verschiedene Volksgruppen haben aber untereinander geheiratet, das war immer möglich. Der multikulturalistische angelsächsische Ansatz fördert sogar verschiedene Communitys. Die ethnisch-kulturelle Identität im deutschsprachigen Raum ermöglicht hingegen wenig Inklusion. Dieser Ansatz deckt ein anderes Bedürfnis ab. Man sagt: Selbst wenn du völlig assimiliert bist, möchte ich keine Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen zu dir haben. Man sagt: Gleicht euch uns so an, dass ihr als Fremde nicht auffällt und wir das selige Gefühl haben, wieder ohne euch unter uns zu sein.
Die Forderung hat völkische, staatsnationale und kulturalistische Momente. Ich versuche so die Ikonographie des Fremden aufzuheben und will nicht mehr, dass der Fremde auffällt. Fremdheit durch andere Religion oder Hautfarbe ist unerwünscht. Die Aufforderung "Assimiliere dich" meint nicht: "Werde ein Teil von mir", sondern: "Werde unsichtbar." Das ist das unbewusste Bild. Ich kann unsichtbar werden durch die Sprache und das Ändern der Religion, nicht aber durch mein Äußeres. Assimilationsbefürworter fordern etwas, das nicht durchsetzbar ist.
Prägt das den Nationalismus?
Es gibt so einen "einladend-inklusiven" und einen "ausladend-exkludierenden" Nationalismus. Der assimilative Ansatz ist eigentlich ein einladender Nationalismus, der sagt: "Egal, wo du herkommst, du bist Türke." Das heißt nicht, dass er freundlich ist. Im Gegenteil: Er kann repressiv sein und Minderheiten unterdrücken. In der Türkei hat es etwa bei den Kurden viel Blutzoll gekostet, dass sie sich nicht als Türken definiert haben. Der völkisch-kulturalistische Nationalismus im deutschsprachigen Raum ist eher exkludierend. Auch wenn sich jemand integriert und sagt: "Ich bin einer von euch", ist er nicht automatisch einer von uns.
Exkludierend war dann auch der Nationalsozialismus.
Im völligen Gegensatz zur Türkei hat man im Dritten Reich zu Juden, die sich teils deutscher als die Deutschen gefühlt haben, gestützt auf Ahnenforschung gesagt: "Auch wenn du sagst, ich bin Deutscher: Du bist durch deine Abstammung keiner von uns." Beim Nationalismus Atatürks, der zwar auch ethnische, aber noch stärker staatsnationale und kulturalistische Züge hatte, war diese Form der Ausgrenzung nicht möglich. Der Völkermord an den Armeniern freilich wurde von der jungtürkischen Bewegung begangen, die - ebenso wie die Nazis - völkisch ausgerichtet war.
Nun gibt es aber auch in Österreich verschiedene Strömungen.
Die starken Assimilationsforderer darf man natürlich nicht mit Österreich gleichsetzen. Es gibt aber einen starken Trend, der sagt: Werdet gleich, ohne dazuzugehören. Wenn ich das Völkische und Kulturalistische heranziehe - was macht Österreich aus? Dass man weiß, christlich und deutschsprachig ist? Dieser Ansatz erträgt nicht viel Konvergenz. Deshalb löst das Bild von Parallelgesellschaften große Ängste aus, teils rationale, teils irrationale.