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Werner Gruber

Von Ruth Pauli

Reflexionen
"Es gehören grundsätzlich Wissenschafter in die Stäbe der Minister" - Werner Gruber im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiterin Ruth Pauli. Foto: Robert Strasser

Der Wiener Physiker Werner Gruber, auch als "Science Buster" bekannt, spricht über den mangelnden physikalischen Sachverstand von Sicherheitspolitikern, über Österreichs Wissenschaftsdefizite und über seine Forschungen zum menschlichen Gehirn.


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Wiener Zeitung: Herr Gruber, Sie machen gerade weltweit Furore, weil Sie es geschafft haben, während einer Sendung des ZDF einen Nacktscanner auszutricksen. Mit dem, was Sie bei sich hatten und was unentdeckt geblieben ist, hätten Sie ein Flugzeug zum Absturz bringen können. Werner Gruber: Ja, ich bin im Moment das wahrscheinlich meist gesehene Bodyscanner-Model der Welt. Sogar in den USA bin ich schon bekannt. Normalerweise hat man als Physiker ja wenig mit Politik zu tun, aber in diesem Fall geht es darum, ob die Nacktscanner sinnvoll sind oder nicht.

In Österreich tun wir uns ziemlich leicht, da hat die Frau Minister Fekter sehr sinnvoll agiert und gesagt: Wir schauen uns das erst einmal an. Wohingegen die Regierungen vieler anderer Länder sagen: Wir wollen, ja wir müssen diese Geräte unbedingt haben.

Dabei geht es ja auch um sehr viel Geld.

Ein billiges Gerät kostet 150.000 Euro. Pro Flughafen braucht man vier bis fünf davon. Für Deutschland geht es also um 70 Milliarden. Ich habe im deutschen Fernsehen ohnehin gesagt: Wenn ihr zu viel Geld habt, bitte schön - es gibt da noch ein paar Banken, die sich über eine Finanzspritze freuen würden. Das ist bei manchen Politikern nicht so gut angekommen.

Könnte man überhaupt für absolute Sicherheit vor Terroristen sorgen?

Wenn jemand wirklich hundertprozentige Sicherheit haben will, empfehle ich ein Ganzkörper-Röntgen und FKK-Flüge. Das heißt, alle Passagiere müssen völlig nackt sein. Eine andere Variante - die auch dem Gesundheitssystem gut tun würde - wäre: Man muss mit der e-Card einchecken und vor jedem Flug eine Magen-Darm-Spiegelung zur Sicherheit gegen Terrorismus bei gleichzeitiger Krebsvorsorge machen. Schließlich kann man Sprengstoff ja auch verschlucken, um ihn an Bord zu bringen.

Bitte wieder ernsthaft: Werden Physiker in Sicherheitsfragen von der Politik überhaupt zu Rate gezogen?

Gehen wir drei Jahre zurück, zum Flüssigkeitsverbot für Flüge. Wenn man damals einen Physiker gefragt haben sollte, müsste der sein Lehrgeld zurückzahlen. Der Anlass war ein Attentatsversuch in England, wo vier Leute in einem Flugzeug Sprengstoff mischen wollten. Dabei ging es um einen sehr gediegenen Sprengstoff, für den man Azeton und Wasserstoffperoxyd mischen muss, außerdem braucht man einen Katalysator. Den hatten die vier aber gar nicht dabei. Und dann hätte man das Zeug filtrieren und vier bis acht Stunden trocknen lassen müssen. An Bord hätten die vier das nie zusammengebracht - das ist ja schon unter Laborbedingungen eine schwierige Angelegenheit.

Werner Gruber. Foto: Robert Strasser

Aber diese Geschichte ist der Grund, weshalb man keine Flüssigkeiten mehr an Bord eines Flugzeugs mitnehmen darf! Das ist ein Verbot, mit dem man der Bevölkerung zeigen will: Wir kümmern uns um eure Sicherheit. Tatsächlich aber trägt dieses Verbot überhaupt nichts zur Sicherheit bei.

Die deutsche Bundespolizei will, wie man hört, bei der Bodyscanner-Entwicklung jetzt Ihre Expertise einholen.

Dort hat man erkannt, dass Technikerwissen doch nicht ganz unbedeutend ist. Das freut mich. Weil von der Politik oft Entscheidungen getroffen werden, die man technisch ganz leicht lösen könnte. Ein Beispiel: Ab wann ist ein Hund ein sogenannter Kampfhund? Das lässt sich ganz einfach definieren: Welche Bisskraft hat ein Hund? Die kann man leicht messen - und sehr leicht eine Grenze ziehen: Sobald ein Hund die Knochen eines dreijährigen Kindes zerbeißen kann, ist er gefährlich. In diesem Fall wären vor allem wir Techniker gefragt, und nicht die Juristen. Es gehören eben grundsätzlich Wissenschafter in die Stäbe der Minister.

Kennen Sie denn welche?

Nein. Man braucht übrigens nicht nur Techniker, Biologen oder Lebenswissenschafter in der Politik, sondern auch Philosophen.

Aber warum mischen sich die Wissenschafter nicht öfter von selbst ein?

Als es um den CERN-Ausstieg ging, gab es die einhellige Meinung: Das ist unsinnig. Dabei ging es um die Existenz. Ansonsten muss man sagen: Die meisten Wissenschafter mischen sich nicht ein. Dazu kommt, dass man als Wissenschafter - wenn man mitten in einem Projekt steckt - ja für niemanden erreichbar ist. Aber viele Wissenschafter sehen es ja leider gar nicht als ihre Aufgabe an, sich einzumischen.

Anton Zeillinger etwa würde sehr wohl etwas sagen, wenn man ihn fragen sollte. Aber die meisten Wissenschafter sind Handwerker. In Frankreich zum Beispiel sind die Wissenschafter viel stärker in das politische Leben eingebunden. Das ist eine Frage der Kultur. Österreich ist kein Wissenschaftsland mehr.

Das ist eine harte Behauptung.

Ja. Aber in den Neurowisssenschaften zum Beispiel sind wir gewissermaßen eine Sahelzone. Und die Chance, dass ein Österreicher einen Nobelpreis bekommt, ist realistisch gesehen nicht vorhanden. Zeillinger käme noch am ehesten in Betracht, aber auf seinem Gebiet ist Theodor Hänsch 2005 ausgezeichnet worden, und bekanntlich dauert es in der Regel fünf bis zehn Jahre, bis wieder ein Forscher auf demselben Gebiet den Nobelpreis bekommt.

Dass wir kein Wissenschaftsland sind, kann ja nicht nur am Geldmangel in der Forschung liegen. Es gibt dafür zwei Grundursachen. Erstens die Vertreibung und Vernichtung jüdischer Wissenschafter in der Nazizeit. Und zweitens Probleme im internen Wissenschaftsbetrieb. Wir gehen Wege, die nicht die unseren sind. Genauso wie beim Bolognaprozess orientieren wir uns an Ländern, die mehr Geld haben als Österreich. Wenn aber bei uns weniger Geld vorhanden ist, muss eben kreativer gearbeitet werden.

Die Deutschen haben den Vorteil der Max Planck-Institute. Wenn wir das Jahresbudget von einem einzigen Planck-Institut für alle unsere Universitäten hätten, würden wir uns freuen. Kein Wunder also, dass die Deutschen alle drei, vier Jahre einen Nobelpreisträger haben. Wir aber nicht. Wir müssen kreativ arbeiten.

Es liegt also auch an den Forschern selbst?

Ich will mit einem Beispiel antworten. Ein netter Kollege kam vor ein paar Jahren zu mir, er hatte die Idee, wie man einen Kugelblitz herstellt. Der Kugelblitz ist so etwas wie der Heilige Gral in der Physik, nachgewiesen hat ihn noch keiner, auch wenn ihn schon viele gesehen haben. Er hat mir die Apparatur geschildert. Aber er scheute sich, das Experiment durchzuführen, denn es hätte ja schief gehen können. Und dabei ist der Mann pragmatisiert! Wenn so jemand nicht bereit ist, Risiko zu übernehmen, dann weiß ich nicht. Forschung ist immer riskant. Ich weiß vorher nicht, ob etwas herauskommt, ich weiß nicht, wo die Grenze ist. Aber unser aktuelles System fördert Risikobereitschaft nicht.

Das Traurige aber war, dass das Max Planck-Institut für Plasmaforschung neun Monate später genau dieses Experiment gemacht hat: nämlich den ersten Kugelblitz der Welt zu erzeugen. Die Nachricht davon ist um die Welt gegangen. Ich habe dem Kollegen gesagt: Das hättest auch Du zustandebringen können. Und er hat mir geantwortet: Aber es hätte ja auch misslingen können. Diese passive Grundeinstellung, diese Angst, nur keinen Fehler machen zu wollen, ist ein Grundübel. Im Übrigen wird bei uns in den seltensten Fällen bei Vorlesungen darauf hingewiesen, wenn man etwas noch nicht weiß. Sondern es wird immer nur die Hälfte der Kugel beleuchtet, nämlich jene, die wir schon kennen. Es wäre aber auch wichtig zu sagen, was wir noch nicht wissen.

Es fehlt in Österreich also an Kreativität in der Organisation.

Und am Mut zum Scheitern.

Obwohl das doch angeblich zum Wesen des Österreichischen gehört.

Mein Deutschlehrer hat immer gesagt: "Habt Mut zum Nicht genügend. Mich interessieren nicht die Zweier, Dreier und Vierer, sondern ich will ein Sehr gut haben oder eben ein Nicht genügend". Für das, was hierzulande an Geld für die Forschung ausgegeben wird, sind wir gut. Viele Nationen, die mehr Geld haben, veröffentlichen weniger. Auch die Qualität passt bei uns. Aber wir sind zu konservativ. Es könnte ja etwas daneben gehen. Nobelpreise bekommt man aber nicht für Standardsachen.

"Science Busters" in Aktion: Werner Gruber, Martin Puntigam und Heinz Oberhummer (v.l.n.r.) im Rabenhof Theater. Foto: Rabenhof/ pertramer.at

Apropos Geld: Was Sie mit Ihren Bestsellern und dem "Sciencebuster"-Kabarett verdienen, das sparen Sie für Ihre Wissenschaft.

Ja, das ist super. Ich hab vor kurzem einen 200 Milliwatt Laserpointer bestellt. Einen, den es bei uns am Institut nicht gibt.

Das ist sehr kreativ von Ihnen, aber eigentlich ein Armutszeugnis für die österreichische Forschungspolitik.

Das ist halt mein persönlicher Weg, wenn es auch nicht der eines durchschnittlichen Universitätsangehörigen ist. Doch bevor ich einen Antrag schreibe und fünf Tage Zeit in das Formular investiere, bestelle ich mir das, was ich haben will, lieber selber. Und das hat den Vorteil: Ich bin frei. Keiner kann mir sagen, ich muss eine fade Arbeit machen.

Bei den "Sciencebusters" sind auffallend viele junge Menschen im Publikum. Aber kaum ein junger Mensch will Physik studieren. Die Naturwissenschaften haben zu wenig Studenten; Publizistik und Psychologie hingegen sind überlaufen. Sind Sie vom Unterrichtsministerium schon einmal gebeten worden, Ihre Programme als "Werbeveranstaltung" für die Oberstufen zu zeigen?

Vom Unterrichtsministerium nicht. Von diversen Lehrervereinigungen schon. Aber man braucht dazu eine Bühnentechnik, die es in den Schulen nicht gibt. Auch der ORF zeigt kein Interesse, dort sagt man: Wir haben ohnehin das Sendungsformat "Newton". Wir haben ein kreatives Konzept für ein Oberstufenlehrbuch für Physik entwickelt und alles bis zum Layout selber gemacht. Das Buch für die 5. Klasse haben wir sechsmal eingereicht, aber immer nur abschlägige Antworten bekommen. Das ist ja ein Lesebuch, sagte ein Gutachter. In unserem Buch steht zum Beispiel die Frage: Wie viele de Beukelaer Kekse braucht man, um auf den Mount Everest zu gehen? Körperliche Energie: 27 Kekse, ohne seinen eigenen Grundumsatz zu rechnen, der 80 Prozent ausmacht. Also mal 80 Prozent. So spannend kann Physikunterricht sein. Aber bei uns kann man mit dem Wissenstand des Jahres 1850 bei der Matura bestehen. Schuld daran sind das Schulsystem und die Lehrerausbildung.

Die Lehrer werden aber an der Uni ausgebildet.

Ob sie an der Uni oder der Pädak ausgebildet werden - die Fachkompetenz ist nicht vorhanden. Und bei den Lehrenden herrscht die Einstellung vor: Das ist ja eh nur ein Lehramtskandidat. Wir brauchen aber ganz dringend bessere Physiklehrer. Wenn ich mich hinsetze und mich allein für morgen anstrebern muss, dann weiß ich grad so viel, dass ich mit dem Unterricht durchkomme. Wichtig wäre aber, dass ich mir als Lehrer überlege, wie verkaufe ich den Schülern das, was ich weiß.

Wir haben jetzt schon das Problem, dass wir zu wenige Physiklehrer haben. Biologie-Lehrer müssen Physik unterrichten. Das hat keinen Sinn. Und ist ein Teufelskreis. Wenn der Physikunterricht besser wäre, würden mehr junge Menschen Physik studieren, und mehr das Lehramt machen. Jetzt befinden wir uns in einer Negativspirale: Wenig, wenig, wenig, noch weniger. Zum Glück beginnt jetzt aber eine Diskussion über einen besseren Unterricht.

Ihr eigentliches Arbeitsgebiet ist die Gehirnforschung. Was tun Sie da gerade?

Es geht darum, Modelle für das menschliche Gehirn zu bauen. Das ist sehr zeitintensiv. Ich habe monatelang eine Entwicklungsumgebung für eine Gehirnsimulation programmiert, die den Vorteil hat: Es dauert nicht mehr zwei bis drei Monate für eine Simulation, sondern zwei bis drei Tage.

Die Sahelzone wird also grüner?

Naja, sagen wir so: die Oase wird größer. International gesehen gibt es keine vergleichbaren Programme. Das bedeutet also einen Wissensvorsprung gegenüber der Konkurrenz. Aber eine Beta-Version wird es zum Download geben.

Ein Zukunftsthema wird dann der Schlaf sein. Es gibt ja zwei einander widersprechende Meinungen. Der Hippocampus, der für das explizite Gedächtnis, also das Schul-Gedächtnis, zuständig ist, stabilisiert das Gedächtnis im Schlaf. Wir können uns dann besser erinnern. Nun gibt es ja die REM-Phase und die Tiefschlafphase, und alle Befunde, die wir von der Medizin haben, deuten darauf hin, dass in der REM-Phase der Hippocampus hoch aktiv ist. Das Problem ist aber, dass alle psychologischen Tests im Schlaflabor zeigen, dass die REM-Phase keine Bedeutung für das explizite Gedächtnis hat. Was also stimmt jetzt? An den Simulationen können wir nun das überprüfen, was am Patienten aus ethischen Gründen nie möglich wäre. Das Ziel ist die Herstellung von Medikamenten, die durch das Unterdrücken der REM-Phase gegen Depressionen und gegen Gedächtnisverlust bei Alkoholikern wirken.

Zur Person

Werner Gruber, 1970 im oberösterreichischen Ostermiething geboren, ist als "Science Buster" bekannt geworden: Zusammen mit dem Physiker Heinz Oberhummer und dem Kabarettisten Martin Puntigam bringt er interessierten Laien im Rabenhof Theater in Wien die Naturwissenschaft nahe. (Informationen zu den nächsten Auftritten im Rabenhof Theater unter http://sciencebusters.at/sections/aktuell/posts/182 ) Außerdem sind die "Science Busters" auch jede Woche im Radiosender FM4 des ORF zu hören.

Auch auf anderen publizistischen Wegen zeigt Werner Gruber, wie aufregend und lebensnah Physik ist: Wir haben ja dauernd mit ihr zu tun - beim Kochen zum Beispiel, einer nicht zu übersehenden Gruberschen Lieblingsbeschäftigung, der er in "Die Genussformel. Kulinarische Physik" (Ecowin Verlag, Salzburg 2008) einen kurzweiligen Bestseller gewidmet hat. Das ist nicht sein erster und einziger: Mit "Unglaublich einfach. Einfach unglaublich. Physik für jeden Tag" (Ecowin 2006) hat Gruber gezeigt, wie Wissenschaft populär gemacht werden kann.

Der Physiker, der an der Universität Wien lehrt, hat stets überraschende Thematiken zu seinen Forschungsschwerpunkten gemacht. Ob Papierflieger, Rauchring oder Weihnachtsgans: Werner Gruber betreibt seine fröhliche Wissenschaft durchaus ernsthaft. Sein eigentliches Arbeitsgebiet an der Universität ist aber Brain Modelling . Dafür ist er international hoch dekoriert worden - unter anderem mit dem "E.R.Caianiello award for biocybernetics".

Sehr interessant und empfehlenswert ist Werner Grubers Homepage ( http://brain.exp.univie.ac.at/ ), nicht nur, weil der Physiker dort mit viel Humor Wissenschaft und Lebenskunst verbindet, sondern weil man dort auch seine Vorlesung über das Gehirn nachhören kann.

Ruth Pauli lebt in Wien und ist als Autorin von Sachbüchern und als freie Journalistin für Printmedien tätig. Zu ihren Schwerpunkten gehört die aktuelle Situation der Wissenschaft in Österreich.