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Der Kunsthistoriker Werner Hofmann erläutert seine Arbeit als Wissenschafter, Museumsdirektor und Ausstellungskurator - und erzählt von seinen beruflichen Anfangsjahren in Wien.
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Wiener Zeitung: Der Vortrag, den Sie in der vergangenen Woche im Shakespeare-Zyklus des Akademietheaters gehalten haben, trägt den Titel: "Wer findet mir die Eintracht dieser Zwietracht?" Klingt in dieser Gegenüberstellung widersprüchlicher Begriffe ein Leitmotiv Ihres wissenschaftlichen Denkens an?
Werner Hofmann: Sie haben es erraten, und natürlich berufe ich mich dabei nicht das erste Mal auf dieses Shakespearezitat aus dem "Sommernachtstraum". Daraus wird aber auch ersichtlich, dass die Modernität für mich nicht erst gestern oder vorgestern begonnen hat.
- Sie sind Kunsthistoriker, aber Sie befassen sich auch mit Shakespeare, und im vergangenen Jahr haben Sie in Wien einen Vortrag über Mozart gehalten - interessieren Sie sich für die "wechselseitige Erhellung der Künste", die Oskar Walzel 1917 in einem Klassiker der Kunsttheorie beschrieben hat?
Ja, das war einmal ein berühmtes Buch und die Formulierung steht immer noch im Raum. Ich halte mich aber eher an die Wiener Tradition der Kunstgeschichte, die mit dem Namen Max Dvo ø ák verbunden ist. Die ihm nachgesagte Formel "Kunstgeschichte als Geistesgeschichte" aus den Zwanzigerjahren ist zwischenzeitlich in Verruf geraten, doch ich habe den Eindruck, dass Dvo ø ák heute wieder entdeckt wird. Er hat zum Beispiel Fäden zwischen Shakespeare und Brueghel geknüpft. Er suchte Strukturmuster einer Epoche und wollte herausfinden, welche Schlüsselfiguren sich in den verschiedenen geistigen Strömungen darstellen und gleichsam die Grundmetapher einer Epoche bilden. Dabei geht es auch um die "Stilmischung" - ein Wort, das Franz Wickhoff, der Begründer der Ersten Wiener Schule der Kunstgeschichte, geprägt hat: Das Hohe und das Niedrige, das Triviale und das Tragische, das Sublime und das Ordinäre müssen zusammengebracht werden. In dieser Konfrontation zeigt sich die Welt, so ergeben sich die wunderbarsten und erschreckendsten Kontraste, etwa bei Shakespeare und Brueghel. Die Kreuztragung wird kontrastiert mit der Banalität der Zuschauer, die dabei stehen wie bei einem bloßen "Event."
- Finden Sie also zu jeder Welt eine Gegenwelt?
Ich denke, dass mein gesamtes kunsthistorisches Denken und alle meine Ordnungsversuche auf dieser Dialektik basieren. Als ich mich als junger Mann mit Honoré Daumier beschäftigte, wurde mir klar, dass in diesem Künstler Don Quixote und Sancho Pansa zugleich steckten. Dies wurde dann ausgeweitet zum Konzept der Karikatur als einer Gegenkunst. 1951 hatte ich das erste Mal Gelegenheit, diesen Gedanken in einer Weise, die mich heute noch überzeugt, zu publizieren - und zwar in der "Wiener Zeitung"!
- Dabei ist die "Wiener Zeitung" eigentlich keine kunsthistorische Fachzeitschrift...
Die Publikation kam durch Edwin Rollet zustande. Ich hoffe, dass in Ihrem Haus ein Foto dieses bedeutenden Feuilleton-Redakteurs hängt. Ich lieferte ihm einige Buchkritiken, und dann habe ich ihm auch meinen Aufsatz "Gegenwelten und Gegenkünste" gezeigt. Es hat mich sehr überrascht, dass er ihn in voller Länge und schön illustriert druckte. Damals war ich in der Albertina tätig, was für ihn wohl keine schlechte Adresse war. Trotzdem war es ein kühner Entschluss, meinen Text zum Druck anzunehmen, nicht nur weil ich noch ein "homo ignotus" war, sondern auch, weil das Thema damals durchaus kein Wald- und Wiesenthema gewesen ist.
- Am Wiener Institut für Kunstgeschichte stießen Ihre Themen in der Nachkriegszeit auf weniger Interesse. Waren Sie ein Student, der mehr wollte und wusste als seine Professoren?
Nein, Letzteres ganz bestimmt nicht. Ich lebe mit und von meinen Lücken, das sage ich ohne Koketterie. Ich hatte aber zwei entscheidende Begegnungen: die eine war mit Ernst Gombrich, der aus Wien emigrierte und später im London am Warburg Institute Direktor war. Ihm bin ich 1949 im Kupferstichkabinett in Paris begegnet, da ergab sich schnell ein menschlicher Kontakt über das Sachliche - die Karikatur - hinaus. Der andere wichtige Anreger war Hans Sedlmayr. ( Der Autor des berühmten und umstrittenen Buches "Verlust der Mitte", Anm. ). Gegen Sedlmayrs kunstpolitische Haltung ist manches zu sagen, ich war der erste, der seine Zirkelschluss-Methodik und sein wacklig riskantes Gedankengebäude 1951 in einem Aufsatz der "Zeitschrift für Kunstgeschichte" analysierte. Aber trotz dieser politischen Problematik war seine Arbeit für mich erregend, denn bei ihm findet sich der Ansatz zum Denken in komplementären Polaritäten. Sedlmayr hat sich allerdings das Komplementäre geschenkt und nur die Achse registriert, die in die Apokalypse führt. Seine luziferische Intelligenz sah nur das Höllische und entfernte sich von den beiden zusammenhängenden Ebenen: Verdammung und Erlösung.
- Wann begann Ihr Kontakt zur Moderne und zur Gegenwartskunst?
Die Beschäftigung mit der Moderne begann mit der Blickerweiterung in den Jahren 1947 bis 1949. Damals war ich an dem von den Franzosen eingerichteten Alpbacher Forum beteiligt und ich war auch in Leopoldskron, einem "Rest-Center" für Studenten, das von Harvard ausging. In Innsbruck lernte ich die französische Welt in nuce kennen - auch die kulturelle staatliche Förderung, der ich 1949 zusammen mit Gerhard Schmidt und Klaus Demus ein Stipendium für Paris zu verdanken hatte.
Kaum angekommen, hatte ich im Oktober 1949 das doppelte Schlüsselerlebnis einer GauguinAusstellung und gleich daneben einer Schau über lArt brut von Jean Dubuffet. Diese komplementären Ausstellungen waren stimulierend. In der Albertina machte ich später im Auftrag ihres Direktors Otto Benesch eine Marc Chagall-Ausstellung. Wie von selbst ergaben sich Kontakte zu Otto Mauer, dem damals streitbarsten Kopf in Sachen Moderne. Dann befasste ich mich mit Henry Moore, so erwachte das Interesse an der Plastik. 1956 erschien im Wiener Rosenbaum-Verlag mein Buch über die "Karikatur von Leonardo bis Picasso." Die Karikatur ist ein Instrument der Bannung und der Beschwörung, das die Hässlichkeit zur Hilfe nimmt, aber auch mit abstrakten Symbolen arbeitet. Auf diesen Klaviaturen konnte sich der Künstler viele Formmöglichkeiten erspielen, die in der Hochkunst beiseite gelassen wurden. So wurde die Karikatur zu einem Erprobungsspielfeld, auf dem sich die Experimente der Moderne vorbereiteten. Viele Moderne, Juan Gris, Ernst Barlach, Emil Nolde, haben mit Karikaturen begonnen.
- In Paris sind Sie 1949 auch Ihrer späteren Frau Jacqueline begegnet, und zwar in einer Henry Moore-Ausstellung. Seither begleitet sie aktiv Ihr Werk. War sie als Französin auch immer ein Korrektiv im Blick auf Wien?
Wenn es überhaupt eine Divergenz zwischen uns gibt, dann die, dass meine Frau von Wien vorbehaltsloser begeistert ist als ich.
- Warum haben Sie nach Ihrer Dissertation auf eine sichere Beamtenstelle an der Albertina verzichtet?
"Verzichtet" ist eine noble Formulierung. Benesch musste erkennen, dass er falsche Erwartungen in mich gesetzt hatte. Er glaubte, in mir seinen Nachfolger heranzuziehen, der sich einen Namen mit Ab- und Zuschreibungen, also mit großer Kennerschaft macht. Doch das war nicht meine Stärke. Für Benesch war das eine gewisse Kränkung, für mich ein Zeichen, dass ich mich anderswohin zu orientieren hatte.
- Sie gingen dann als Gastdozent nach Amerika . . .
Noch an der Albertina lernte ich Julius Held kennen, der mir als Auffangposition eine Gastprofessur an der Columbia University in New York angeboten hat. Dieser Sprung nach Nordamerika war entscheidend für alles Weitere.
- Die Gründung des Museums des 20. Jahrhunderts in Wien war gewiss ein steiniger Weg?
Das war im guten Josephinischen Sinn ein Reformgedanke von oben. Wenn die Ministerialrätin Adele Kaindl nicht in sehr guter Zusammenarbeit mit dem damaligen Kulturminister Heinrich Drimmel das Museum gefördert hätte, wäre das Projekt wohl gescheitert. Mein Museumskonzept bestand darin, österreichische Künstler von bester Qualität in einem internationalen Zusammenhang zu positionieren. Damit ging ich auf Distanz zur Idee einer rein österreichischen Galerie. Die kulturpolitischen Interessen lagen damals wie heute eher bei der Oper und den Salzburger Festspielen, und auf dem Terrain der Kunstgeschichte gab es niemanden sonst. Einziger Gegenspieler war Vinzenz Oberhammer, der Direktor des Kunsthistorischen Museums. Er war durchaus kein Kleingeist, als Biennalekommissär schickte er Avramidis und Hundertwasser nach Venedig, aber er wollte das Museum des 20. Jahrhunderts mit politischer Rückendeckung an sein Haus binden.
- Kam die Rückführung von Karl Schwanzers Weltausstellungspavillon aus dem Jahr 1958 dem Projekt zugute?
Das war ganz entscheidend. Man hatte kein Geld für einen anderen Ort, ohne den Schwanzerbau hätte sich nur die Oberhammerlösung angeboten. Drimmel aber war dafür, das Museum auf eigene Beine zu stellen und mich als Leiter einzusetzen. Das fand ich bemerkenswert, zumal ich keinen politischen Rückhalt hatte.
- Jetzt wird das Museum des 20. Jahrhunderts an das Belvedere zurückgebunden, und vielleicht schon 2008 wieder eröffnet. Dabei wird das Wotruba-Archiv auch den zerstörten Skulpturengarten revitalisieren. Da fließen einige Ihrer alten Ideen ins Konzept der neuen Direktorin, Agnes Husslein, ein. Vor allem wird die österreichische Kunst stärker in die internationale integriert. Freuen Sie sich darüber?
Wenn wir diese Richtung einschlagen, muss ich auf die Secessionisten verweisen. Um 1900 fing alles an. Bereits Hermann Bahr und andere wollten ja den Wienern klar machen, dass es auch jenseits des Kahlenberges noch eine Kunst gibt! Sie kauften Wiens einzigen Vincent van Gogh als Gründungserwerbung für eine moderne Galerie. 1903 hat dieses internationale Denken also schon begonnen. Doch in der Nachkriegszeit kamen die Jahre der "Austrifizierung" im schlechten Sinn des Wortes, in denen man nicht nur den Gürtel enger schnallen musste, sondern auch Scheuklappen aufsetzte. Ich finde es konsequent, wenn die neue Direktorin auf die alten Konzepte zurückgreift.
- Warum haben Sie schließlich die Hamburger Kunsthalle dem Wiener Museum vorgezogen?
Im Schweizergarten kam es nach Jahren guter Dotationen zu einer Minimierung des Etats - ich kann es nicht beweisen, aber ich vermute, dass dies auch auf Grund von Einsprüchen anderer Direktoren geschah. Das Geld wurde so knapp, dass ich keine gute Ausstellungspolitik mehr machen konnte. Also entschied ich mich für die Hamburger Position, ohne mich als fahnenflüchtig zu betrachten.
- Als Direktor der Hamburger Kunsthalle waren Sie sehr erfolgreich tätig. Mit Ausstellungen zu Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge, aber auch zu "Luther und die Folgen für die Kunst" haben Sie "deutsche" Themen aufgegriffen, die im Westdeutschland der Nachkriegszeit eher tabuisiert worden sind. Glauben Sie, dass es eine spezifisch deutsche Kunst gibt?
Das wäre eigentlich ein Thema für ein eigenes Gespräch. Aber so viel möchte ich immerhin sagen: Die "Deutschheit" der Deutschen ist ein viel größeres Problem als die österreichische Selbstbefragung und hat in der wissenschaftlichen Diskussion auch sehr viel schärfere Kontroversen hervorgerufen. In Westdeutschland wollte man nach 1945 nur noch unter amerikanischer Leitung deutsch sein, der Osten blickte nach Moskau, und sowohl da wie dort wurde die eigene Tradition verfehlt. In meinem Buch "Wie deutsch ist die deutsche Kunst?" habe ich versucht, zu zeigen, dass es viele Möglichkeiten gibt, ein deutscher Künstler zu sein, ohne eine davon besonders zu favorisieren.
In Österreich ist es ja ähnlich. Die wunderbare Biedermeier-Ausstellung, die gerade in der Albertina zu sehen ist, hebt sehr überzeugend den österreichischen Anteil am Biedermeier hervor. Trotzdem fehlen mir auch in dieser Ausstellung die Gegenstimmen: Metternich war ja nicht nur ein gut aussehender, nobler Herr, sondern auch eine politische Bedrohung ersten Ranges. Das müsste in einer Neben-Ausstellung gezeigt werden. So wie die schöne PeterFendi-Schau ein künstlerisches Gegengewicht bildet, hätte man im Wien Museum oder anderswo die politischen Kontroversen des Vormärz darstellen können, um zu zeigen, dass sich die Biedermeierzeit nicht nur unter einer Wärmeglocke des Wohlbehagens abgespielt hat.
- Das berührt ein Problem der aktuellen Form des Ausstellungsmachens. Reizt Sie die heutige, eher unkritische Ausstellungskultur noch?
Sie reizt mich zum Widerspruch. Das schon.
- Ihre Forderung, der Kunsthistoriker müsse ein Verbündeter des Künstlers sein, wie es die meisten Vertreter der Ersten Wiener Schule gewesen sind, ist manchem Wissenschafter fremd. Mit welchen Künstlern sind Sie befreundet?
Es gibt einige, mit denen ich befreundet bin, aber das Wort "verbündet" wäre mir lieber. Denn kann man etwa mit Arnulf Rainer befreundet sein? Schwer. Aber man kann mit ihm einig sein, man kann ihm die Stange halten, wie das früher genannt wurde. In Wien war ich der Promotor der Künstler meiner Generation, mit der Hamburger Szene habe ich mich dann nicht mehr befasst.
- Ihre Publikationen wie "Das irdische Paradies" oder die "Grundlagen der modernen Kunst" waren für viele Wissenschafter ein Ausgangspunkt für eigene Studien. Haben Sie durch diese Bücher Schüler gefunden?
Ja. Mein Schülerkreis, so es ihn gibt, rekrutiert sich aus den Lesern meiner Publikationen. Und ich merke immer öfter, dass ich sehr genaue Leser habe.
- Gibt es Kritiker, die zu Ihren Büchern Gegenbücher geschrieben haben?
Wahrscheinlich - aber so mächtig bin ich auch nicht, dass überall das Bedürfnis besteht, mich herunterzumachen. Im Gegenteil: Einige meiner Kritiker haben nach Diskussionen mit mir ihre ursprünglichen Angriffe und Bedenken zurückgenommen.
Zur Person: Werner Hofmann
Werner Hofmann , geboren 1928 in Wien, ist Kunsthistoriker, Kunsttheoretiker und Publizist. Von 1947 bis 1949 studierte er Kunstgeschichte in Wien und Paris, zwischen 1950 und 1955 war er als Assistent an der Wiener Albertina tätig. Von 1957 bis 1959 lebte er als freier Autor in Paris, danach baute er als Gründungsdirektor das Wiener Museum des 20. Jahrhunderts auf.
Von 1969 bis 1990 war Hofmann Direktor der Hamburger Kunsthalle. Zugleich war er als Gastprofessor tätig, etwa an der Harvard University, am "Maison des Sciences de lHomme" in Paris, der Columbia und der New York University, sowie an der Universität Wien.
Werner Hofmann ist Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. 1991 bekam er den Sigmund Freud-Preis und wurde 1990 zum Commandeur de l'Ordre des Arts et Lettres ernannt, 2001 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Hildesheim verliehen.
Publikationen (kleine Auswahl): "Die Karikatur von Leonardo bis Picasso", Wien 1956.
"Das irdische Paradies - Motive und Ideen des 19. Jahrhunderts", München 1960.
"Grundlagen der modernen Kunst", Stuttgart 1966.
"Luther und die Folgen in der Kunst", München 1983.
"Zauber der Medusa - Europäische Manierismen", Wien 1987.
"Wie deutsch ist die deutsche Kunst?", Leipzig 1999.
"Goya. Vom Himmel durch die Welt zur Hölle", München und London 2003.
"Die gespaltene Moderne. Aufsätze zur Kunst", München 2004.
Ein Buch über Edgar Degas ist in Arbeit.