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Werte-Clash

Von Marina Delcheva

Politik
wz/Irma Tulek

In Wertekursen bekommen Flüchtlinge einen Eindruck, wie es in Österreich läuft - ein schmerzhafter und notwendiger Prozess.


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Wien. "In Österreich ist es üblich, dass Frauen arbeiten und auch in einer Führungsposition sind (. . .) Jeder hat das Recht, die Religion auszuüben, die er möchte." 15 anerkannte Flüchtlinge und Asylwerber aus Afghanistan und dem Iran sitzen im Halbkreis vor dem Bildschirm. Der fünfminütige Film des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF), der in Farsi untertitelt ist, stimmt sie auf das ein, was noch auf sie zukommt, im Wertekurs im Speziellen und in ihrem neuen Leben in Österreich im Allgemeinen. Menschenrechte, die Grundfreiheiten des Einzelnen, Österreich und seine NS-Vergangenheit, Gleichberechtigung.

Die 15 Männer und Frauen sitzen still da. Manche machen sich Notizen. "Bei uns haben alle Menschen die gleichen Rechte: Männer, Frauen, Homosexuelle, auch Kinder. Es ist verboten, Kinder zu schlagen", sagt die Vortragende. Ein im Vergleich älterer Kursteilnehmer möchte wissen, was man denn tue, wenn die Kinder nicht lernen oder ins Bett gehen wollen? Er wirkt verunsichert.

Schmerzhafte Anpassung

Es ist manchmal richtig schwer, sich in einem fremden Land, einer unbekannten Kultur und einem neuen Wertesystem zurechtzufinden. Wenn das erlernte Verhalten und die eigene Überzeugung plötzlich unerwünscht sind, kann das sehr frustrierend sein. Und je weiter weg die eigenen Kultur- und Wertvorstellungen angesiedelt sind, umso schwieriger wird es. Das weiß auch der Soziologe und Integrationsexperte Kenan Güngör. Er ist unter anderem für die Evaluierung der Wertekurse zuständig. Er spricht von den unterschiedlichen Phasen des (Kultur-)Schocks: "Im ersten Moment ist man wie erschlagen, man kann nicht zuordnen, was um einen passiert."

Dann reagiere man mit Rückzug. Gleichzeitig setze auch die Neugier ein, dem neuen Land und den Sitten gegenüber. Und schließlich komme die Souveränität, einen Teil seiner Kultur zu erhalten, aber auch dem Neuen offen gegenüberzutreten und es anzunehmen. "Aber der Kulturschock ist nicht mehr so tief wie vor 50 Jahren." Viele wissen vor der Flucht, wohin sie gehen, und erkundigen sich über Soziale Medien und Bekannte.

Dass dieser Prozess nicht nach einem eintägigen Wertekurs sein erfolgreiches Ende findet, weiß Güngör. "Darum geht es auch überhaupt nicht. Das ist ein Anstoß, eine Erstorientierung", sagt er. Der eigentliche Lernprozess passiere danach. Deshalb sei es wichtig, dass die Wertedebatte in den Deutschkursen weitergeführt werde. Dass an den Schulen Ethik und politische Bildung unterrichtet werde und dass man Lehrer und Beamte, die mit Asylwerbern zu tun haben, unterstützt. Zurück in den Wertekurs. Die Vortragende erklärt gerade das Bildungssystem. Weil hier viele Frauen arbeiten, würden viele Kinder schon früh in den Kindergarten gehen. Die Dolmetscherin übersetzt in Farsi. Eine junge Iranerin schreibt mit. Sie erklärt auch, dass die Polizei hier "ein Freund und Helfer sei". Einige Kursteilnehmer haben in ihrer Heimat schlechte Erfahrungen mit gewaltbereiten Milizen gemacht.

Rückzug schlechteste Option

In der Pause hat sich ein kleines Grüppchen junger Männer zusammengesetzt. Was denn neu für sie sei in Österreich? "Dass hier Männer und Frauen zusammen feiern. Das ist bei uns ausgeschlossen", erklärt ein junger Afghane. Bei der Wertevermittlung gehe es nicht darum, dass man gleich wird, so Güngör, sondern um "Kompatibilität", etwa was den Konsens über Grundrechte oder die Menschenwürde des Einzelnen betreffe. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft agiere man immer auch außerhalb seiner Gruppe, und da brauche es einen gemeinsamen Konsens. Zum Beispiel bei der Frage, ob man der Lehrerin die Hand gibt.

So schwierig für manche das Ankommen in Österreich auch sein mag, die völlige Ablehnung und der Rückzug sind die schlechteste Option, für beide Seiten. Etwa wenn es darum geht, wie man mit einer Chefin umgeht oder ob man die Tochter studieren lässt. "Man marginalisiert sich sonst selbst", sagt Güngör.

Seit Jänner bietet der Österreichische Integrationsfonds sogenannte Werte- und Orientierungskurse für anerkannte Flüchtlinge und Asylwerber mit hoher Anerkennungswahrscheinlichkeit, etwa Syrer, an. Die Kurse sind neben Deutschkursen und Arbeitsmarktmaßnahmen Teil der Integrationsvereinbarung. In manchen Bundesländern, etwa in Oberösterreich, ist die Mindestsicherung an deren Besuch geknüpft. Bisher wurden rund 300 Wertekurse für mehr als 3000 Teilnehmer abgehalten.