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Werteverfall

Von Haimo L. Handl

Gastkommentare

Werteverfall hat verschiedene Dimensionen und Auswirkungen. Für die meisten bleibt er abstrakt, bis er - in einer unheilvollen gesellschaftlichen Äußerung - umso schmerzlicher spürbar wird.


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Kürzlich sprach der in Berlin lebende ungarische Schriftsteller György Dalos von dem tiefen Hass, der sein Heimatland spalte, der jedes nötige Zusammenwirken verunmögliche, der das Land in reale Gefahren führe. Wir in Österreich sind mit einem ähnlichen Phänomen konfrontiert, wiewohl derzeit, dank verschiedener spezifischer Bedingungen, das Gefahrenmoment nicht so dramatisch ist.

Mir sind von damals Äußerungen in Erinnerung, die die Verbindlichkeit und Tauglichkeit von Wahlen bezweifelten, die meinten, man müsse gegen solche Wahlentscheidungen etwas unternehmen. Als die EU nicht intervenierte, die von vielen Sozialisten und Gutmenschen geforderten ausländischen Hilfeleistungen nicht konkret genug erfolgten, da folgte bald eine Ernüchterung. Aber der Hass hat sich nicht gelegt. Er schwelt.

Nun, der damaligen Regierung, und den nachfolgenden auch, ist vieles anzukreiden. Opposition ist wichtig. Effiziente Kontrolle ist noch wichtiger. Beides war mangelhaft. Aber das kann nicht nur einem Feind zugeschrieben werden. Wie hätte dem begegnet werden können? Durch eine glaubhafte, konkret nachprüfbare positive Politik. Das Gegenteil wurde praktiziert.

Wenn morgen Neuwahlen wären und die Rechten unter HC Strache die absolute Mehrheit gewännen, nähmen das die Opponenten, vermute ich, nicht so einfach hin. Falls die Regierungsbildung eines Strache mit irgendwelchen Tricks nicht zu verhindern wäre, könnte ich mir vorstellen, dass nicht nur ein politisches Eiswetter einträte, sondern dass "regulierend" gehandelt würde.

Den Grund für die triste Einschätzung finde ich im gepflegten Hass, der den Gegner nicht nur als Opponenten sieht, sondern als monströsen Feind, als Nazi. Und Nazis soll man jagen und entsorgen. Was, wenn die vielfach zu lesende Graffiti "Kill Racists!" wahr würde und Attentate "reinigend" erfolgten? Was, wenn bisher Besonnene vernünftig darlegten, dass man mit diesen Rechtsextremen nicht verhandeln dürfe, weil jede Kommunikation Kollaboration wäre?

Was Dalos in Ungarn auf verschiedene historische Ursachen zurückführt, könnte bei uns sich schnell ähnlich wieder zusammenschließen. Dabei verbänden sich Wut und Enttäuschung der Benachteiligten (man sieht das jetzt in Griechenland sich zusammenbrauen) mit der geringen oder gänzlich fehlenden Wahlmöglichkeit. Dass diese Wahlunmöglichkeit just von den führenden mittleren Parteien durch ihre verantwortungslose Politik seit Jahren herbeigeführt wurde, bleibt eine Ironie. Je nach Erfolg wird die unterlegene Seite ihren Hass nur steigern. Außer, sie hätte in der Zwischenzeit gelernt. Aber darauf deutet nichts hin.

Wird das Ausmaß der Korruption öffentlich bekannt, sinkt zugleich merklich der Lebensstandard. Und versagt die Politik weiterhin durch Vertuschen und ineffizientes Handeln, wären Bedingungen gegeben, die Österreich in ein Klima der 1920er- und 1930er-Jahre stürzen könnten. Dem abstrakten Werteverfall folgte der reale.

Haimo L. Handl ist Politik- und Kommunikationswissenschafter.