Liebhaber englischer Krimis munkeln vom "Agatha-Christie-Moment" eines heißen Brexit-Sommers.
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London. In diesem Skript lädt sich eine undurchschaubare Gastgeberin zum Wochenende eine Anzahl Gäste in ihr Landhaus ein. Die handelnden Personen haben jede Menge Motive, einander aus dem Weg schaffen zu wollen. Die Gastgeberin aber plant, für die Dauer der Zusammenkunft alle Türen zu versperren. Frage: Wessen Blut wird sich am Ende auf dem Teppich finden? Das gewisser Gäste? Oder das der Hausherrin?
Das Brexit-Drama spitzt sich in der Tat weiter zu - mit unabsehbaren Konsequenzen. Für Freitag hat Theresa May sämtliche Kabinettsmitglieder zu einer Klausur auf ihren Landsitz Chequers einbestellt. Die britische Regierungschefin will bei dieser Gelegenheit mit ihren Ministern endlich eine gemeinsame Position für das Verhältnis des Vereinigten Königreichs zur Europäischen Union nach dem EU-Austritt aushandeln. Mays Kabinett soll sich zu guter Letzt einigen - nach zwei Jahren bitteren Streits.
Denn bereits am darauf folgenden Montag soll ein Regierungs-Weißbuch die neue Position darlegen und die stockenden Brexit-Verhandlungen in Brüssel frisch in Gang bringen. Viel Zeit für eine Vereinbarung mit der EU bleibt ja nicht mehr, falls ein Austritts-Vertrag bis Oktober stehen soll.
Die Brexit-Hardliner des Kabinetts aber wittern Verrat vor dem großen Chequers-Treffen. Außenminister Boris Johnson, Brexit-Minister David Davis und andere wollen keine "windelweiche" Lösung akzeptieren, die für sie "gar kein echter Brexit" wäre. Würde ihnen eine solche aufgezwungen, hätten sie wohl keine andere Wahl, als zurückzutreten. Damit bräche das zutiefst gespaltene Kabinett mitten in den Verhandlungen mit der EU vollends entzwei.
Zerrissene Konservative
Auch fünf Dutzend "harte" Brexiteers in der Fraktion unter Führung des Hinterbänklers Jacob Rees-Mogg suchen May von Kompromissen mit Brüssel abzuhalten. Die Regierungschefin, warnte Rees-Mogg am Montag, müsse ihrer Partei unbedingt "das geben, was sie uns versprochen hat". Sonst drohe ihr seitens ihrer Parlamentarier eine historische Revolte. Und eine Spaltung der Konservativen auf Jahrzehnte hin.
Bereits 48 Tory-Hinterbänkler könnten einen Misstrauensantrag gegen May durchsetzen. Zwanzig Abgeordnete, darunter eine Reihe hoher Minister, treffen angeblich schon Vorbereitungen für eine eigene Kandidatur. Allerdings hat May deutlich gemacht, dass sie um ihre Position kämpfen und erneut antreten würde, falls es dazu käme. Aufgeben würde sie keinesfalls, heißt es in Downing Street.
Panik bei den Brexit-Hardlinern haben neueste Berichte der Londoner "Times" ausgelöst, denen zufolge Mays Verhandlungsdirektor Oliver Robbins einzelnen Ministern erklärt hat, dass letztlich wohl nur eine enge Anbindung an den Binnenmarkt der EU für diese akzeptabel wäre. Dabei ist für die EU-Gegner bei den Tories May schon viel zu weit gegangen, als sie einer Zahlung von knapp 40 Milliarden Pfund, einer fast zweijährigen Übergangsphase nach dem Austritt und einem Spezialstatus für Nordirland für den Notfall zugestimmt hat.
In Fraktion und Kabinett brodeln jedenfalls gleichermaßen Ressentiments. Mehrere Minister haben einander offen kritisiert, nachdem Großkonzerne wie Airbus und BMW in den letzten Tagen vor einem "harten" Brexit oder einem Scheitern der Brexit-Verhandlungen warnten. Außenminister Johnson erklärte, die Geschäftswelt könne ihm gestohlen bleiben - eine Haltung, von der sich Wirtschaftsminister Greg Clark scharf distanzierte. Umweltminister Michael Gove zerriss zornig ein seiner Ansicht nach irreführendes Regierungs-Dokument zur Zollunion. Liz Truss, die zweite Ministerin der Schatzkanzlei, warf Gove wiederum vor, viel "heiße Luft" zu produzieren.