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Wessen Wohlstand muss gerecht verteilt werden?

Von Erich W. Streissler

Wirtschaft

Widersprüchliche Werbebotschaft. | Umverteilung von der Leistung zur Nichtleistung. | Wien. Unübersehbar ist derzeit auf Wiener Plakatwänden die mich erschreckende Botschaft von Alfred Gusenbauer: "Wohlstand muss gerecht verteilt werden!" Das ist einerseits eine Forderung von höchster Widersprüchlichkeit und andererseits in einem Rechtsstaat mit Eigentumsschutz ein Postulat weitgehend ohne Möglichkeit seiner Verwirklichung.


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Widersprüchlich ist die Forderung, weil sich jeder Bürger unter ihr etwas anderes vorstellt. Denn selbstverständlich glaubt jeder, Anspruch auf einen überdurchschnittlichen Wohlstand zu haben. Nur: Einem Anspruch aller auf Überdurchschnittliches gerecht zu werden, wäre schlicht und einfach mathematisch unmöglich. Bestenfalls mag Gusenbauers Forderung, die ja Umverteilung impliziert, den umverteilenden Politikern und Beamten etwas bringen, anderen aber aus dem solcherart verkleinerten Kuchen nichts oder fast nichts.

Unerfüllbar ist die Forderung in einem Rechtsstaat, der das Eigentum schützt, wie gerade mein jüngst verstorbener, sein Leben lang linkssozialistisch denkender Kollege Erwin Weissel immer betonte: Nach jedem Eingriff, sofern er überhaupt gelingt, ist nach kurzer Zeit dennoch alles wieder beim Alten. Erfahrungsgemäß ist im Rechtsstaat die relative Einkommensverteilung höchst resistent gegen Veränderungsversuche. Das einzige, was Gusenbauers Forderung belegt, ist, dass er kein Ökonom sein kann, oder zumindest, dass er seinen ökonomischen Verstand aus Populismus unterdrückt.

Analyse Wort für Wort

Analysieren wir Wort für Wort, was mit dem Wohlstand geschehen soll: Was heißt hier erstens "muss"? Es heißt, dass ein Politiker eine Forderung aufstellt, ohne geprüft zu haben, wie diese in die Tat umgesetzt werden kann, ja ob sie überhaupt innerhalb vorgegebener Möglichkeiten verwirklichbar ist.

Was heißt hier zweitens "gerecht? Gerecht sein oder allen gerecht werden, kann nur, wer, wie Gott, allwissend ist und deshalb auf die Umstände jedes einzelnen entsprechend eingehen kann. Annähernd gerecht ist ein gutes Gerichtsurteil, weil es auf einen Einzelfall eingeht. Eine gesamtgesellschaftliche wirtschaftliche Regelung hingegen kann nie gerecht sein, denn ein Schematismus kann es nicht gleichzeitig allen recht machen. Ein Schematismus aber muss diese Regelung sein, wenn sie an Verwaltungskosten nicht mehr verschlingen will, als sie bringt. Man denke nur an unser Sozialversicherungs- und Pensionssystem, in dem sich so gut wie jeder, zwar aus jeweils anderem Grund, immer für benachteiligt hält.

Was heißt hier drittens "Wohlstand"? Gemeint ist sicher etwas Gegebenes, das durch seine gerechte Verteilung nicht verändert würde. Wohlstand entsteht jedoch gerade erst infolge der Anstrengung vieler im Hinblick auf Verteilungsregeln, auf welche diese vielen sich vertrauensvoll verlassen. Weshalb aber sollte sich einer anstrengen, wenn er nur erwarten kann, dass sein so erarbeiteter Wohlstand dann nach anderer Leute Gutdünken "gerecht" umverteilt werden muss? Oder noch anders ausgedrückt: Bei solch disponibler Wohlstandsvorstellung würde ich es vorziehen, (umverteilender) politischer Funktionär zu werden, aber nicht ökonomische Werte schaffender Unternehmer oder Manager! Diese Art von Umverteilung mussten unsere Nachbarländer mit verheerender Wirkung während mehrerer Dezennien real existierenden Sozialismus erfahren: Während etwa Tschechien 1937 pro Kopf seiner Bevölkerung reicher als Österreich war, weist es heute, immerhin sechzehn Jahre nach dem Ende dieses Sozialismus, nur vierzig Prozent unseres pro-KopfEinkommens auf.

Staatliche Umverteilung

Aus dem "muss . . . werden" kann ich nur den Ruf nach staatlicher Umverteilung herauslesen, und zwar, wie ich deren österreichische Spielart kenne, von den Arbeitenden und Berufstätigen zu den nicht mehr Arbeitenden und nicht mehr Berufstätigen - von Leistung also zu Nichtleistung. Ob das der wirtschaftlichen oder auch nur der politischen Entwicklung Österreichs wirklich gut täte?

Erich W. Streissler ist Professor der Volkswirtschaftslehre, Ökonometrie und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Wien.