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"Westen hat zur Krise massiv beigetragen"

Von Gerhard Lechner

Politik
Ausgeklammert würden die Argumente Russlands im Westen, meint Gregor Razumovsky.
© Andreas Urban

Ukraine-Experte Razumovsky über Medienmanipulation, die Fehler des Westens im Ukraine-Konflikt und die Rolle der USA.


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"Wiener Zeitung": Herr Razumovsky, der aktuelle Konflikt in der Ukraine wird von einem Informationskrieg begleitet. Wird die öffentliche Meinung manipuliert?Gregor Razumovsky: Sagen wir es so: Offene Desinformation kommt wohl eher selten vor, aber es landen in den Medien natürlich gezielte, geschickt gewichtete, interessengeleitete Informationen. Grundsätzlich ist Manipulation ja nichts Neues. Es fängt schon beim Vokabular an. Ein Beispiel bietet die Nato selbst, die 1949 als "Nordatlantische Vertragsorganisation" gegründet wurde, im kommunistischen Osteuropa aber Nordatlantikpakt hieß - was deutlich bedrohlicher klingt. Umgekehrt nannte man im Westen die sechs Jahre später gegründete Warschauer Vertragsorganisation den "Warschauer Pakt".

Der ist nach 1991 im Gegensatz zur Nato zerfallen. Warum ist die Nato für Russland ein rotes Tuch?

Die Nato wird in Russland immer noch als Gegner wahrgenommen. Das ist auch verständlich, wenn man bedenkt, dass man dort 60 Jahre lang davon ausgegangen ist, dass die Nato ein Angriffsbündnis ist. Das spielt in dem aktuellen Konflikt in der Ukraine eine große Rolle.

Ist dieses Bedrohungsempfinden in Russland nur subjektiv, eine "Paranoia", wie man im Westen sagt, oder bedroht die Nato Russland tatsächlich?

Das ist letztlich irrelevant. Wenn aus russischer Sicht das Bedrohungsgefühl vorhanden ist, wird entsprechend gehandelt. Im Kalten Krieg hatten beide Seiten das Gefühl, der Gegner denke die ganze Zeit nur an den kommenden Überfall. Das atomare Wettrüsten beruhte auf dieser Angst.

Wie funktionieren nun die Mechanismen der Manipulation im Ukraine-Konflikt?

Es werden Ähnlichkeiten oder Verwandtschaften zu scheinbar befreundeten Gruppen hergestellt - in Russland zu den orthodoxen Ostukrainern, im Westen zu den teilweise katholischen Westukrainern. Gerade in Österreich wird die Verwandtschaft zu den Galiziern, die ja einst zur Monarchie gehörten, immer stark herausgestellt. Das ergibt ein schönes Bild, und Bilder wirken.

Aber reicht das Herausstellen dieser kulturellen Verwandtschaften aus, um in einem Konflikt ausreichend zu emotionalisieren?

Es kommt noch einiges hinzu. Etwa dieses alte Spiel, dass der Feind meines Feindes mein Freund ist. Das spielt zurzeit Russland, das sich mit fragwürdigen Rechtsaußen-Politikern wie Marine Le Pen oder Heinz-Christian Strache gemein macht, weil die - und das ist ja im Westen derzeit selten - über Russland positiv reden. Das passt aber nicht ganz zur Selbstdarstellung Russlands in dem Ukraine-Konflikt als "antifaschistischer" Kraft. Schließlich haben Straches FPÖ und Le Pens Front National den radikalen ukrainischen Nationalisten der Swoboda-Partei bei ihrem Weg ins politische Establishment geholfen. Man könnte dieses Argument aber auch umdrehen und das Verhalten des Westens kritisieren - nach dem Motto: In der EU kämpft ihr gegen eure Rechtsaußen-Parteien, und in der Ukraine unterstützt ihr offen Neonazis. Denn etwas anderes sind die Leute um die Swoboda nicht. Die russischen Argumente in dem Konflikt werden jedenfalls im Westen ausklammert.

Welche Argumente denn?

Russland musste nach dem Umsturz auf dem Maidan befürchten, dass die Häfen seiner Schwarzmeerflotte, die auf der Krim stationiert ist, verloren gehen, wenn die Ukraine in die Nato abgleitet. Man hatte davor Angst, die Häfen nicht an einen neutralen Staat zu verlieren, sondern direkt an den Feind, an die Nato.

War das denn klar, dass mit der geglückten Revolution in Kiew die Ukraine gewissermaßen an die Nato verloren ist?

Die Schreie nach einem Beitritt zur Nato waren im Zusammenhang mit dem Euromaidan nicht zu überhören. Man wusste in Moskau, das ist jetzt gegen uns gerichtet. Und so war es ja auch. Zur jetzigen Krise hat der Westen massiv beigetragen. Wir übertragen eine Schuld auf Moskau, die auch die unsere ist. Hätte die EU von vornherein gesagt: Ja zum Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, aber nein zum Nato-Beitritt - die Lage wäre eine völlig andere gewesen. So hat man ausschließlich amerikanische Interessen verfolgt. Die EU hat ja kein Interesse an einem Streit mit Russland.

Es gibt die These, die USA würden eine Eindämmungspolitik gegenüber Russland vorantreiben. In dem Zusammenhang zitiert man gerne den US-Geopolitiker Zbigniew Brzezinski. Andererseits braucht Washington Moskau als Mitspieler in vielen weltpolitischen Fragen. Wird hier seitens der USA wirklich nach einem Masterplan vorgegangen? Oder wird doch nur nach der Methode von Versuch und Irrtum improvisiert?

Ich würde sagen, beides. Erstens ist der alte antirussische Reflex aus der Zeit des Kalten Krieges immer noch lebendig. Man weiß sozusagen: Das sind die Bösen. Und andererseits wird die EU den USA wirtschaftlich unangenehm - nach dem Motto: Sie hatten mit dem zwischenzeitlich doch recht harten Euro schon zu viel Erfolg. Wenn diese EU jetzt noch erfolgreich stärkere Kontakte nach Osten knüpft, dann wird es gefährlich. Und Putins Russland bietet sich nun einmal als idealer Handelspartner für die EU an - nicht aber für die USA, die ihrerseits mit Europa das TTIP-Abkommen abschließen wollen. Wobei man sagen muss: Es gehört natürlich zu den völlig gerechtfertigten Interessen Amerikas, die Nummer eins bleiben zu wollen. Zwischen der EU und Russland haben sie jedenfalls gründlich einen Keil getrieben. Der steckt jetzt drin. Diesen Keil rauszuziehen, das wird sehr schwer.

Gregor Razumovsky (49) ist Politikberater und stammt aus einer ukrainischen Adelsfamilie. Ein Vorfahre war der letzte Kosakenhetman der Ukraine, dessen Sohn war russischer Diplomat in Wien, für den das Palais Rasumofsky erbaut wurde. Gregor Razumovsky war von 2001 bis 2004 für die EU-Kommission in Wien tätig. Er befasst sich mit ukrainischer Politik und ist heute Senior Partner in einer Wiener Consultingfirma.