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"Kommunismus ist gleich Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes", lautet eines der griffigsten Lenin-Zitate aus der alten Zeit. Mit der öffentlichen Ausschreibung und dem Verkauf von sechs regionalen Energieverteilbetrieben hat die ukrainische Regierung im zehnten Jahr der Unabhängigkeit auch für diesen zentralen Wirtschaftssektor die Weichen in Richtung Marktwirtschaft gestellt. Ein slowakisches Konsortium erwarb im Sommer vier Betriebe, zwei Unternehmen gingen an Bieter aus den USA.
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Wie selten zuvor in der Geschichte der 1991 beschlossenen Privatisierung ließ sich der gesamte Ausschreibungsverlauf bis zur Vertragsunterschrift klar und deutlich nachvollziehen. Dieser Transparenz wegen nennt Teimur Bagirow als Berater des neuen Ministerpräsidenten Kinach den ersten Schritt zur Entstaatlichung des ukrainischen Energiesektors eine "Erfolgsgeschichte". Nach diesem Vorbild sollen künftig die übrigen Energieversorgungsbetriebe der Ukraine in Privathand überführt werden.
Positive Erfahrungen
Positive Erfahrungen, aber auch das Wissen um einige Pannen im Verlauf dieser Privatisierung, so hofft der Berater aserbeidschanischer Herkunft, "werden uns helfen, das Tempo deutlich zu erhöhen." Durch verbesserte gesetzliche Grundlagen verspricht sich Bagirow längerfristig noch mehr Transparenz. "Und damit wird der ukrainische Privatisierungsverlauf nachvollziehbar", bekräftigt der Berater und bezieht sich dabei auf die Weltbank, die vor kurzem ihr Urteil über die Ukraine gesprochen hat. Zwar sei die Transparenz "deutlich besser geworden", allerdings entspreche sie noch nicht den Wunschvorstellungen der internationalen Geberinstitution.
Dass die Umwandlung des ukrainischen Staatsbesitzes in Privateigentum heute eine "unumkehrbare Entwicklung" sei, steht für Teimur Bagirow zweifelsfrei fest. Nur über die Privatisierung, die eine "gesunde Wirtschaftsgrundlage" sichere, könnten neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Allerdings sei in einem ersten Schritt damit zu rechnen, dass bei der unumgänglichen Restrukturierung von großen Staatsbetrieben, vor allem in der Bergbau- und Verhüttungsbranche, die Arbeitslosigkeit ansteige.
Inzwischen hat Staatspräsident Leonid Kutschma angekündigt, dass die Ukraine einen "konsequenteren" Weg hin zur völligen Privatisierung einschlagen werde. Sie ist seit 1992 in Form eines Programms gesetzlich verankert. Es muss seit dem Jahr 2000 nach jeweils dreijähriger Laufzeit neu geschrieben werden.
An der anfangs über Voucher oder Zertifikate an die Belegschaften betriebenen Umwandlung in Privateigentum hält man nicht länger fest, da sich die angestrebten Ziele - Kapitalzufluss und verbesserte Management-Fertigkeiten - mit diesem Ansatz nicht erreichen lassen. Heute läuft die ukrainische Privatisierung stärker über Auktionen oder öffentliche Ausschreibungen.
Seit 1992 bis Ende 2001 konnten offiziellen Angaben zufolge rund 74 000 Objekte in Staatsbesitz verkauft werden; als "nichtstaatlich" bezeichnet die Regierung in Kiew üblicherweise auch Betriebe, an denen private Besitzer und Staat gemeinsam Anteile halten. Ende des vergangenen Jahres betrug der Anteil dieser gemischten Unternehmen am bislang veräußerten Staatsbesitz 86 Prozent. Sie produzieren drei Viertel der ukrainischen Industriegüter.
Erfahrungsgemäß führen diese gemischten Eigentumsstrukturen zu Interessenskollisionen. Denn Staat und Privatunternehmer vertreten bei Fragen der betriebswirtschaftlichen Vorgehensweise, der Besetzung leitender Positionen und des Personalbestandes bisweilen sehr unterschiedliche Ansichten. In bestimmten Branchen, wie etwa Schwerindustrie, Telekom und Energiesektor, sind die Auswirkungen staatlicher Eingriffe besonders ausgeprägt. Gerade auf diesen Gebieten wird Privatisierungsvorhaben starker politischer Widerstand entgegengebracht.
Rückschläge
Welche Unternehmen nicht in Privatbesitz überführt werden dürfen, steht auf einer Negativliste, die das Parlament verabschiedet. Dort aufgeführte Betriebe müssen aus versorgungstechnischen oder verteidigungsrelevanten Gründen in Staatsbesitz verbleiben. Die anfangs auf 5.000 Objekte festgesetzte Zahl wurde zwar unterdessen auf weniger als 1.500 reduziert, aber selbst diese Zahl ist noch sehr hoch.
Zum Verkauf vorgesehene Objekte werden zunächst in Aktiengesellschaften umgewandelt. Für die weiterhin als staatlich industrielle Komplexe geführten Betriebe existiert bis heute keine Veröffentlichungspflicht. Grundlegende Informationen über Altschulden oder Personalstand sind nicht verfügbar. Und das hält potentielle Investoren, vor allem aus dem westlichen Ausland, weiterhin auf Distanz.
Immer wieder überschatten Rückschläge den Fortgang des ukrainischen Privatisierungsprozesses. Manchmal finden sich keine Interessenten für die angebotenen Objekte, dann wieder stellt sich heraus, dass Investoren die vorgeschriebenen Bedingungen nicht erfüllen. Es ist auch schon vorgekommen, dass zur Privatisierung vorgesehene Staatsbetriebe plötzlich von der Liste gestrichen wurden. Einige Unternehmen mussten noch während der Ausschreibung Konkurs anmelden. In anderen Fällen wurde unerwartet die definitive Privatisierungsbewilligung verweigert.
Dass die ukrainische Privatisierung so schleppend vorankommt, ist vorrangig auf die Vielzahl der daran beteiligten Institutionen zurückzuführen. Während in Polen ausschließlich die Regierung zuständig ist, gibt es in der Ukraine gleich fünf Partner.
Neben dem Staatsvermögensfonds, der offiziell für die zur Privatisierung vorgesehenen Betriebe zuständig ist, haben auch Präsidialamt, Ministerkabinett, Parlament und Fachministerien ein Wort mitzureden. Letztere üben oft die Aufsichtspflicht über gewisse Betriebe aus, deren Einnahmen die Behörden zum eigenen Überleben dringend benötigen. Und da eine Privatisierung Risiken bergen kann, legen die Ministerien aus Furcht vor dem Verlust dieser Pfründe Zurückhaltung an den Tag.
Seit Beginn der Privatisierung ist die Bereitschaft der Entscheidungsträger, sich gemeinsam auf Lösungen zu verständigen, nur gering ausgeprägt. "Man geht sich inzwischen sogar aus dem Weg und spricht nicht miteinander", berichtet Christopher Staudt, Auslandsmitarbeiter der deutschen "Gesellschaft für technische Zusammenarbeit" (GTZ), der in Kiew das Transform-Projekt "Deutsche Regierungsberatung zu Fragen der Privatisierung in der Ukraine" leitet. Als neutraler Vermittler bietet er den Entscheidungsträgern eine Gesprächsplattform in Form eines "Runden Tisches" an. Sein Ziel besteht darin, eine Atmosphäre des Vertrauens entstehen zu lassen, um den Konsens zu
begünstigen. Schließlich führt Staudt seine Gesprächspartner an die Regulierungsvorschriften nach internationalen Standards heran.
"Ohne eine funktionsfähige, auf die Bedürfnisse der Unternehmen zugeschnittene Gesetzgebung können Wirtschaftsreformen nicht gelingen", bekräftigt Christopher Staudt, dessen Gesprächspartner "großes Entgegenkommen" gezeigt hätten. Dass für den Wirtschaftsaufschwung eine unternehmensfreundliche Verwaltung geschaffen werden müsse, wird auch in der Ukraine nicht mehr in Zweifel gezogen.
Wettbewerbssteigerungen
Die Frage, wie diese grundlegende Erkenntnis den ukrainischen Entscheidungsträgern künftig noch einprägsamer und schneller vermittelt werden kann, genießt beim Transform-Programm für die Ukraine Priorität. Mit jährlich rund
10 Millionen Euro wurde der Bedarf der Ukraine bisher deutlich höher eingestuft als in den benachbarten Transformationsstaaten.
Weiteren Handlungsbedarf erkennt Franz J. Goetz, Hauptökonom bei der Kiewer EU-Delegation, indessen auch nach erfolgter Überführung in Privatbesitz. "Der überwiegende Teil des Verkaufserlöses fließt in den Staatshaushalt und wird nicht zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der entstaatlichten Betriebe genutzt", kritisiert Goetz, der sich über die Brüsseler TACIS-Initiative - Gegenstück zu PHARE für die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) - an der ukrainischen Privatisierung beteiligt. Diese Versäumnisse blieben nicht ohne Folgen. Einer Studie der privaten London School of Economics (LSE) zufolge wurden in ukrainischen Betrieben mit vorwiegend privater Eigentümerschaft seit 1991 nur moderate Strukturveränderungen vorgenommen. In den formal privatisierten Unternehmen herrsche ein Mangel an neuen Technologien, auf der Management-Ebene zeichne sich noch immer kein Wechsel ab und auch der Umbau des Anlagevermögens komme kaum voran, heißt es in der Studie.
Dieser offensichtlichen Defizite und Unsicherheiten wegen, "wählen ausländische Investoren schließlich andere Transformationsstaaten, die als sicherer eingestuft werden", betont Switlana Ledomska, stellvertretende Leiterin des Staatsvermögensfonds. Es mag daher kaum erstaunen, dass russische Unternehmen, die den ehemaligen Gliedstaat besser einschätzen können, bei Betriebsverkäufen stärker zum Zuge kämen.
Nach eingehenden Beratungsgesprächen sei sie zum Schluss gekommen, dass dem Know-How-Transfer aus dem Westen eine Schlüsselstellung zukomme. "Wir wollen jedoch unsere Betriebe nicht nur veräußern, sondern auch moderne Management-Methoden bei uns einführen", erklärt Switlana Ledomska, die sich von einer verstärkten Investitionstätigkeit westlicher Unternehmer auch "bessere Kenntnisse über Märkte und Beziehungen zur internationalen Bankenwelt" verspricht.
Eine Brauerei zum Beispiel
Die einzige Bierbrauerei der zentralukrainischen Stadt Poltawa wurde 1994 in Privatbesitz überführt. "Wir hatten keine Erfahrungen und fühlten uns anfangs alleine gelassen", erinnert sich Direktor Nikolaj Sutkowitsch, dessen Betrieb damals 320 Angestellte zählte.
Wie in der ersten Phase der Eigentumsumwandlung üblich, erfolgte die Privatisierung von Poltawpiwo über Voucher, die vorrangig der Belegschaft zum Erwerb angeboten wurden. Inzwischen konnte ein ukrainischer Investor gewonnen werden. Außerdem gelang es dem Unternehmen, mit einer bayerischen Brauerei ein Kooperationsabkommen zu vereinbaren. Als Gegenleistung für westlichen Know-How-Transfer wird Poltawpiwo bayerisches Bier brauen und in der Ukraine vertreiben.
Im Auftrag von GTZ und KfW leistete das deutsche Consultingunternehmen Syseca Beratungsdienste bei Marketing, Controlling und bei Fragen der Management-Weiterbildung. Außerdem wurde die Brauerei bei ihrer Suche nach einer modernen Ausrüstung unterstützt.
Mit Bankkrediten und der Hälfte des Jahresgewinnes ersetzte man die veralteten Anlagen und konnte so die Qualität der Biersorten deutlich steigern. Betrug der jährliche Ausstoß zu Beginn der Privatisierung 100.000 Hektoliter, liegt er heute doppelt so hoch. In den Jahren 2002/3 wird ein Ausstoß von 500.000 Hektolitern angestrebt. Mittlerweile beschäftigt das Unternehmen 520 Angestellte. Ihre Löhne liegen deutlich über dem ukrainischen Durchschnitt und "sie gehen mit einer wesentlich größeren Motivation als früher an ihre Arbeit", meint Sutkowitsch.
"Ohne Privatisierung hätten wir dieses Niveau nie erreicht", fügt er hinzu und verweist auf mehrere Auszeichnungen, die sein Unternehmen in den vergangenen Jahren entgegennehmen konnte. Poltawpiwo zählt heute zu den zehn besten Bierbrauereien des Landes. Dass sich nur wenige der rund 150 ukrainischen Brauereien nach der Umwandlung in Privateigentum behaupten konnten, hat für Sutkowitsch einen einfachen Grund: "Da die Leitung den alten Methoden verhaftet bleibt, muss das Resultat ihrer Arbeit als ungenügend bezeichnet werden." Vielen Betrieben hat freilich auch das nötige Kapital für dringende Investitionen gefehlt.