Britisches Parlament schmettert zahlreiche Änderungsanträge ab. Bekenntnis gegen zweites Referendum.
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Wien/London Am Dienstag war das britische Unterhaus am Wort. Nachdem der EU-Deal von Premierministerin Theresa May von den Deputierten mit großer Mehrheit abgelehnt worden war, stimmte das traditionsreiche Parlament über alternative Vorschläge ab. Vor allem in Brüssel wartete man mit großer Spannung darauf, wie sich die Mandatare entscheiden würden.
Nach einem spannenden Abstimmungs-Marathon war klar: Eine Umkehr des Brexit ist keine Option, auch ein zweites Referendum darüber nicht. Ein ungeordneter Austritt aus der EU kommt für die Parlamentarier ebenfalls nicht in Frage.
Der Vorstoß von Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn wurde von den Mandataren mit einer Mehrheit von 327 zu 296 Stimmen abgelehnt. Corbyn wollte erreichen, dass es im Parlament Abstimmungen über eine engere Bindung an die EU inklusive Mitgliedschaft in der Europäischen Zollunion und über ein zweites Breit-Referendum gibt. Der Blackford-Antrag der Schottischen Nationalpartei hatte ebenfalls keine Chance. Er sah eine Verschiebung des Brexits vor. Außerdem sollte Schottland in der EU bleiben dürfen. In der Tat ist die schottische Bevölkerung mehrheitlich gegen den Brexit. Der Vorstoß wurde abgeschmettert, nur 39 waren dafür.
Keine Verschiebung
Eine Initiative des Brexit-Gegners Dominic Grieve sah vor, dass es eine Reihe von Abstimmungen über Alternativen zu Mays-Brexit-Abkommen geben sollte. Damit wollte er erkunden, in welchen Punkten eine Mehrheit im britischen Unterhaus überhaupt erreichbar wäre. Die wenig konkrete Idee des Konservativen erhielt einigen Zulauf - 301 Ja-Stimmen zu 321 "Neins". Ein Indiz mehr, dass das Unterhaus wenige Wochen vor dem Brexit-Datum immer noch nicht weiß, wohin die Reise eigentlich gehen sollt.
Die Labour-Abgeordnete Yvette Cooper wollte die Regierung dazu zwingen, den Brexit bis zu zwölf Monate nach hinten zu verschieben, sollte es bis 26. Februar kein ratifiziertes Abkommen über den Austritt geben. Am 5. Februar sollte das Gesetzgebungsverfahren im Eilschritt durchgezogen werden. Auch hier hatte die "No-Fraktion" mit 321 Stimmen das letzte Wort, wie Speaker John Bercow stimmgewaltig kundtat. Die Empfehlung Corbyns, den Antrag Coopers anzunehmen, hatte keine Wirkung - zumindest keine positive. Die Labour-Abgeordnete Rachel Reeves wollte das Gleiche durchsetzen wie Cooper, allerdings sollte ihr Vorstoß für die Regierung nicht bindend sein. Eine zaghafte bis schwache Initiative also - doch auch ihr war nicht die Gnade einer Mehrheit beschieden.
Dem gemeinsamen Änderungsantrag der konservativen Abgeordneten Caroline Spielman und des Labour-Mannes Jack Dromey schließlich waren einige Chancen auf Erfolg eingeräumt worden. In der Tat hieß es zum ersten Mal an diesem Abend: "Die Ja-Stimmen haben gewonnen". Knapp aber doch mit 318 zu 310 Gegenstimmen. Der Vorstoß sieht vor, dass das Parlament einen Brexit ohne Abkommen ablehnt. Ein No-Deal kann dadurch aber nicht verhindert werden. Gibt es am 29. März weder ein Abkommen noch eine Verschiebung der Brexit-Frist, ist ein ungeregelter Austritt Realität. Das ist auch der Trumpf in Händen Mays, die argumentieren kann: Entweder ihr akzeptiert meinen Deal mit der EU oder ihr bekommt einen chaotischen Austritt, den niemand wollen kann. Der Parlaments-Vorstoß ist für die Regierung nicht bindend.
Der Antrag des Konservativen Graham Brady sah vor, dass der Backstop als Garantie für eine offene Grenze in Irland fällt und durch "alternative Regelungen" ersetzt wird. Auch dieser Antrag wurde angenommen.
May kann nun nach Brüssel gehen und dort ein Aufschnüren des Backstop fordern. In der EU hat man allerdings klar gemacht, dass man darauf nicht eingehen wolle.
Chaos nicht vom Tisch
Sollte ein EU-Austrittsabkommen zwischen Brüssel und London nicht erreicht werden, käme das jedenfalls einem handelspolitischen Fiasko für Großbritannien gleich. Wie die britische Tageszeitung "Guardian" berichtet, könnte das UK dann nicht, wie bisher angenommen, einfach die Regeln der Welthandelsorganisation WTO übernehmen und problemlos Handel treiben. Laut Europarechts-Experten könnte das für bis zu sieben Jahre mit erheblichen Problemen verbunden sein. Im dann entstehenden Chaos könnten sich die Lebensmittelpreise verdoppeln und Großbritannien in eine Rezession schlittern, die 30 Jahre dauern könnte.
Die EU-Rechtsexpertin Anneli Howard meint dem "Guardian" zufolge, dass ein "No Deal" bedeute, dass die Briten mit buchstäblich nichts in der Hand der EU verlassen müssten. Das hätte mit Sicherheit eine Rezession zur Folge, gegen die die Weltwirtschaftskrise der 1930er vergleichsweise ein Spaziergang gewesen wäre. Auch hartgesottene Verfechter des Brexit räumen ein, dass Großbritannien zehn, 20 oder sogar 30 Jahre lang unter den negativen ökonomischen Effekten zu leiden hätte.
Im Fall eines ungeregelten EU-Austritts im März müsste Großbritannien ein eigenes Schema ausarbeiten, das Dienstleistungen und alle 5000 Kategorien für Produkte, die im WTO-Vertrag angeführt sind, umfasst. Das müsste dann von allen 163 WTO-Mitgliedern abgesegnet werden. Dass es sich hier spießen wird und die Prozedur unter Umständen Jahre in Anspruch nehmen kann, ist einsichtig. Es fehlen die Standardbedingungen, auf Basis derer die Briten aussteigen können.