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Wettbewerb der Inkonsequenzen

Von Lothar Höbelt

Gastkommentare

Seit dem Börsenkrach, versichern einander die Experten, habe die EU wieder Konjunktur. Denn eine der Lehren aus der Krise lautet: "Sind wir froh, dass wir den Euro haben." Ganz richtig: Aber der Euro hat sich bewährt, nicht weil die EU neue Kompetenzen an sich gerissen hat oder neue Abstimmungsverfahren diskutiert, sondern weil sie immer noch einigermaßen glaubhaft versprochen hat, den Euro - sprich: die europäische Notenbank - in Ruhe zu lassen.


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Die EU schützt uns vor Protektionismus - auch das ist richtig, doch es klingt seltsam aus dem Mund von Leuten, die über die Vorstellung von der EU als Freihandelszone jahrelang bloß die Nase gerümpft haben. Wie überhaupt Europa keine Verteidiger braucht: Es wirkt durch die normative Kraft des Faktischen - oder gar nicht. Alle Schönrednerei kann ein vernünftiges Projekt dabei nur in Misskredit bringen.

Die EU hat sich seit 1989 Europa angenähert; fast alle Staaten des alten Kontinents sind inzwischen Mitglieder. Interessanterweise scheint sich diese Kenntnis gerade bei ihren leidenschaftlichsten Verfechtern noch nicht herumgesprochen zu haben: Dort betrachtet man weiterhin alles als "anti-europäisch", was zu den Vorstellungen der deutsch-französischen Achse nicht automatisch "Oui" und "Amen" sagt. Kurios bloß, dass derlei "Habt Acht!" vor Berliner Weisungen jetzt plötzlich bei all denen hoch im Kurs steht, die jahrzehntelang gegen die "Anschlussfreunde" und den "Pangermanismus" polemisiert haben - und umgekehrt . . .

Denn soviel Inkonsequenz der "EU-Befürworter" lässt ihre Kritiker natürlich nicht ruhen: Dort übt man sich in EU-Skepsis und fordert von ihr gleichzeitig mehr Sozialkompetenz ein - was einer massiven Ausweitung ihrer Befugnisse gleichkäme.

Man beschwert sich über eine Flut von Verordnungen, die zwar vom Ministerrat durchgewinkt werden, in den nationalen Parlamenten aber kaum so anstandslos durchgehen würden - und tut zwischendurch doch nichts lieber, als gegen den "Neo-Liberalismus" zu wettern. Oder man jammert um den Verlust des österreichischen "Vetos" - ein Kleinod, das offenbar so kostbar ist, dass man es bisher kein einziges Mal auch nur verschämt hergezeigt hat.

Vermutlich ließe sich bei regelmäßigen Abstimmungen im EU-Rat die Stimme Österreichs sogar wirkungsvoller zur Geltung bringen als bei einem Veto, das sich ohnehin keiner anzuwenden traut. Wenn man aber schon gegen den Lissaboner Vertrag ist, dann muss man sich um entsprechende Verbündete umsehen - die gibt´s ja in Europa, von Vaclav Klaus über die Tories bis zu Dacleys "Libertas": Doch, man höre und staune, gerade angesichts dieser Perspektive überkommen unsere wackeren Recken plötzlich Gewissensbisse: Ob da nicht vielleicht gar die Amerikaner dahinterstecken, fragt man sich besorgt? EU-Fans und -Gegner haben einander wahrhaftig verdient.

Lothar Höbelt ist Historiker an der Universität Wien und Publizist.