Ist Demokratie ein Schönwetterkonzept? Hoffentlich nicht, aber ausschließen sollte man es besser nicht.
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Weil irgendwie auch fünf Tage nach dem britischen Referendum praktisch alle - die Politiker, die Journalisten, die Manager und die Bürger - völlig fassungs- und ratlos vor dem Ergebnis stehen, ist es vielleicht ganz hilfreich, wieder einmal daran zu erinnern, was Demokratie auch sein sollte: Nämlich ein Prozess, der das Versprechen auf eine bessere Zukunft in sich trägt. Es gibt sogar kluge Menschen, die genau darin den Kern der demokratischen Idee zu erkennen glauben.
Darüber kann man sicher streiten, aber gewiss ist, dass es kritisch wird, wenn die Politik nicht mehr imstande ist, dieses Urbedürfnis aller Menschen zu erfüllen. Tatsächlich hat Demokratie den nicht geringen Nachteil, ins Wanken zu geraten, wenn die Zeiten nicht nur schlechter werden, sondern es noch dazu auch keine Hinweise darauf gibt, dass demnächst wieder die Sonne auf die Bürger herunter lacht. Unsere idealisierte Regierungsform - ein Schönwetterkonstrukt, das bei anhaltender Schlechtwetterphase ganz schnell seinen Sexappeal verliert: Das ist eine ziemlich beunruhigende Selbsterkenntnis, weil sie so gar nicht zu unserem Selbstbewusstsein passen will, über die Fehler der Altvorderen erhaben zu sein. Sind wir nämlich nicht, jedenfalls nicht so selbstverständlich, wie wir hoffen.
"Schönwetterkonstrukt" heißt natürlich nicht, dass die Bürger kleine verwöhnte Kinder sind, die vor den unangenehmeren Seiten des Lebens von einer allzeit Umsorgenden Politik tunlichst abgeschirmt werden sollten. Das wäre eher eine weitere Dystopie, und als Idee zudem alles andere als neu. Im Gegenteil: Es geht darum, den Wählern deutlich zu machen, dass ihre Entscheidungen Gewicht und Konsequenzen haben. Und zwar im Guten wie im Schlechten.
Auf den ersten Blick ließe sich aus der Verpflichtung der Politik auf ein Versprechen für eine bessere Zukunft eine Lizenz zum Schönfärben hineinlesen. Tatsächlich scheint es ja nur noch zwei Arten von Parteien zu geben: diejenigen, für die die Realität und der eingeschlagene Weg direkt in den Abgrund führen; und diesen gegenüber stehen die Verteidiger des Status quo, die beharrlich alle Warnzeichen am Horizont nicht nur ignorieren, sondern als üble Verschwörungstheorie überhaupt in Abrede stellen.
Kein Wunder, dass die Wähler angesichts dieser Auswahl hochgradig verunsichert ihrer eigenen Zukunft entgegenblicken. Und im Zweifel zunehmend dazu übergehen, den Schwarzmalern und Weltuntergangspropheten ihre Stimme zu leihen.
Eine andere wertvolle Grundhaltung gerät derweil zunehmend in den Hintergrund: ein gesunder Skeptizismus mit einem Schuss Optimismus, der auch gerne - je nach persönlichkeitstypischer Grundierung - eben - ein gesunder Optimismus mit einem Schuss Skeptizismus sein kann.
Ob so oder so, beide Charakterausprägungen weisen auf Wählerseite eine weit überdurchschnittliche Wahrscheinlichkeit auf, weder den Realitätsverleugnern noch den Untergangsaposteln unter den Politikern in die Falle zu gehen. Jetzt fehlen eigentlich nur noch Parteien, die es mit ihren Zukunftsversprechen ähnlich halten. Dann wäre ziemlich viel wieder ganz gut.