Die Polen entscheiden am Sonntag über ihr neues Parlament.
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Warschau. Nein, die aktuellen Umfragen sind gar nicht gut. Die Wahlkampfstrategen der Bürgerplattform (PO) blicken mit wachsender Nervosität auf die Ergebnisse der Untersuchungen, die in Polen nun fast täglich neu veröffentlicht werden. Der Abstand zwischen der Regierungspartei und ihrer größten Rivalin, der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), wird immer geringer. Zwar deklarieren noch immer mehr Menschen - fast jeder Dritte -, die PO wählen zu wollen. Doch liegt PiS in der potenziellen Wählergunst nur noch wenige Prozentpunkte dahinter. Vor wenigen Monaten noch war der Abstand in Prozentpunkten ein zweistelliger.
Viel Zeit, den Vorsprung wieder zu vergrößern, bleibt Premier Donald Tusk und seiner Fraktion nicht mehr. Am Sonntag sind an die 30 Millionen Polen dazu aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. 460 Mandate im Sejm sind zu vergeben; auch der Senat, das Oberhaus, wird neu bestimmt. Und nun kämpfen die Parteien verstärkt um die Unentschlossenen: Immerhin hat sich laut Untersuchungen fast jeder vierte Pole noch nicht entschieden, wem er seine Stimme gibt.
So wird der Wahlkampf nun zu einem Zweikampf stilisiert und der Ton in der Kampagne der Bürgerplattform schärfer. Premier Tusk warnt vor einer Neuauflage einer Regierung unter Jaroslaw Kaczynski, dem Vorsitzenden der PiS. Das Kaczynski-Kabinett der Jahre 2006 und 2007 - in der Zeit unterstützt von Präsident Lech Kaczynski, dem mittlerweile verstorbenen Zwillingsbruder des damaligen Premiers - stehe für übertriebenen Nationalismus, Bespitzelung und Rache an vermeintlichen Gegnern. Der Oppositionsführer wäre als Regierungschef "eine Gefahr für Polen", meint denn Tusk - und verspricht seinerseits Kontinuität.
Doch das scheint etlichen Wählern, die vor vier Jahren der Bürgerplattform zum Sieg verholfen haben, zu wenig zu sein. Die Zufriedenheit mit der Regierungspartei - und die Beliebtheit von Tusk selbst - ist markant gesunken. Zwar ist die polnische Wirtschaft in den vergangenen Jahren stetig gewachsen, doch hat das Kabinett Tusk notwendige Reformen nur zögerlich gestartet - oder teilweise gar zurückgenommen, wie Pläne zu einer Neuregelung des Pensionssystems. Und die Arbeitslosigkeit liegt weiterhin bei fast zehn Prozent. So sind gerade junge Wähler oftmals von der Bürgerplattform enttäuscht - nicht zuletzt auch deswegen, weil die PO gesellschaftspolitisch weit weniger liberal ist als in Wirtschaftsfragen.
Nationalkonservative mit linken Akzenten
Kaczynskis nationalkonservative PiS setzt nun umgekehrt auch auf linke Akzente: Sie plädiert für einen stärkeren Staat, mehr Unterstützung für Bedürftige und gegen Privatisierungen etwa im Energiesektor. Auch fordert die Fraktion mehr "Einsatz für Polen" bei Verhandlungen mit der EU.
Eine künftige Regierungszusammenarbeit von PO und PiS - wie noch vor wenigen Jahren ernsthaft diskutiert - scheint so gut wie ausgeschlossen, auch wenn beide Parteien aus dem konservativen Lager stammen. Andererseits ist nicht klar, ob der derzeitige Koalitionspartner, die Bauernpartei PSL, nicht an der Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament scheitert. Von den insgesamt sieben Parteien, die zur Wahl antreten, werden es Umfragen zufolge nur drei, vier Fraktionen fix schaffen, Mandate im Sejm zu bekommen: neben PO und PiS das Bündnis der Demokratischen Linken und die neu gegründete links gerichtete Bewegung des ehemaligen PO-Abgeordneten Janusz Palikot.