Ratlosigkeit über weiteres Vorgehen. | Vorräte um zehn Prozent gesunken. | Brüssel. Der EU-Kommission reißt langsam die Geduld. Ungewöhnlich deutlich kritisierte ihr Präsident Jose Manuel Barroso gestern, Mittwoch, Russland und die Ukraine für die immer noch ausbleibenden Gaslieferungen für die Mitgliedsstaaten. "Inakzeptabel und ungeheuerlich" sei das, sagte er. Sollte das Problem nicht "eiligst" gelöst werden, setze es eine Klagewelle der EU-Versorger gegen Gazprom und den ukrainischen Pipelinebetreiber Naftogaz. Darüber hinaus werde er die EU-Länder zu einem "konzertierten Handeln" auffordern, um "alternative Wege der Energiebeschaffung und des Energietransits" zu erschließen.
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Dass die Kommission aber in Wirklichkeit ratlos ist, wie sie den Druck auf Moskau und Kiew abseits der Rhetorik noch erhöhen soll, wird unter der Hand freilich nicht verschwiegen. Nach tagelangem Hickhack konnte sie gerade einmal die Öffnung des Gashahns für vier Stunden am Dienstagvormittag erreichen. Kein Kubikmeter der Lieferung erreichte die EU. Immerhin wurden die EU-Beobachter inzwischen offenbar in die Schaltzentralen von Gazprom und Naftogaz vorgelassen. Mit ersten Berichten der Mission wird demnächst gerechnet.
In manchen Ländern wird die Situation langsam eng. So sind hunderttausende Haushalte in Bulgarien und am Westbalkan seit Tagen ohne Heizung. Die Regierung in Sofia unterhält keine Gasreserven und hatte bisher auf die Zuverlässigkeit Russlands gezählt. Interventionen des bulgarischen Premierministers Sergej Stanischew in Moskau blieben vorerst erfolglos. Der slowakische Regierungschef Robert Fico warnte bei einer Krisenmission nach Moskau und Kiew, dass sein Land nur noch elf Tage ohne neue Gaslieferungen durchhalten könne. Rund 1000 Industriebetriebe im Land hätten ihre Produktion wegen der Energieknappheit bereits einstellen müssen. Etwa die Hälfte der 27 Mitgliedsstaaten sind von den Versorgungsengpässen betroffen. Die meisten - wie Österreich - haben aber noch ausreichend Reserven für die nächsten Wochen oder Monate. Bisher wurden rund zehn Prozent der Vorräte in jenen EU-Ländern verbraucht, die vom russischen Gas abhängig sind.
Angesichtsdessen bezweifelte Barroso offen, dass Russland und die Ukraine zuverlässige Partner der EU seien. Denn "sie sind nicht in der Lage, ihren Verpflichtungen gegenüber den Mitgliedsstaaten nachzukommen." Beide Seiten ergehen sich in Schuldzuweisungstiraden. Der französische EU-Botschafter habe das Schauspiel bereits als "Wettlauf um die größte Lüge" bezeichnet, hieß es.
"Verschwörung"
Moskau bemüht inzwischen eine Verschwörung der Ukraine mit den USA als Ursache der Krise. Kiew und Washington weisen das empört zurück. Russland erklärt, es wolle Gas liefern, aber die Ukraine halte die Pipelines geschlossen. Naftogaz behauptet, die Russen wollten ausgerechnet den schwierigsten Durchleitungsweg für ihre Lieferungen wählen. Das sei technisch nicht machbar, weil ansonsten die Versorgung von weiten Teilen der Ukraine selbst gefährdet würde. Ganz falsch, behauptet Gazprom. Schließlich gebe es für den Transit und die innerstaatliche Versorgung unterschiedliche Pipelines. Das wiederum hält Naftogaz für besonders abwegig: Die Russen müssten es besser wissen, schließlich haben sie die Leitungen in Sowjetzeiten selbst gebaut.