Unterschiedliche Regelungen bringen Rechtsunsicherheit. | Neue Verordnung der EU soll Ungerechtigkeiten vermeiden. | Brüssel/Wien. Wenn Liebe keine Grenzen kennt, kann es gefährlich werden. Denn wer sich über die eigene Landesgrenze hinweg verliebt, heiratet und dann womöglich noch seinen Wohnort ins Ausland verlegt, kann nur hoffen, dass die Ehe ewig währt. Geht diese nämlich in die Brüche, wird es richtig kompliziert.
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Denn wo beantragt eine Französin, die mit einem Deutschen verheiratet ist und mit diesem im gemeinsamen Haus in Spanien wohnt, die Scheidung? Selbst wenn einmal die Zuständigkeit des Gerichts feststeht, stellt sich die Frage nach dem anzuwendenden Recht.
Diese Fragen werden angesichts der nach EU-Schätzungen jährlichen 170.000 grenzüberschreitenden Scheidungen in den Mitgliedstaaten immer bedeutsamer.
Internationale
Zuständigkeit geregelt
Seit 2001 gibt es deshalb eine Gemeinschafts-Verordnung, die EU-weit einheitlich regelt, wo ein internationales Ehepaar die Scheidung einreichen muss. Auch die Zuständigkeit für Sorgerechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Scheidung wird in der Verordnung geregelt.
Dabei können Scheidungswillige jeweils zwischen sechs Zuständigkeiten alternativ wählen. So können etwa die Gerichte des Mitgliedstaates angerufen werden, in dem beide Partner ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Alternativ könnte der Ehepartner, der die Scheidung beantragt, das auch in dem Land tun, in dem er sich alleine für gewöhnlich aufhält. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Ehepartner in unterschiedlichen Mitgliedstaaten arbeiten und sich nur gelegentlich an den Wochenenden treffen. Wenn beide Partner dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen, zum Beispiel Italiener sind, aber in Frankreich leben, können auch die Gerichte der gemeinsamen Staatsbürgerschaft, in dem Fall also die italienischen Gerichte, zuständig sein.
Dabei hat die Wahl des zuständigen Gerichts weitreichende Folgen, wie der Wiener Rechtsanwalt und Scheidungsrechtsexperte Alfred Kriegler versichert. Denn das zuständige Gericht entscheidet auch darüber, welches nationale Recht angewendet wird.
Und da die Vorschriften im Scheidungsrecht von Land zu Land teilweise sehr unterschiedlich sind, können auch die Scheidungsfolgen stark voneinander abweichen, je nachdem welches Recht zur Anwendung kommt. So ist in manchen Staaten eine gewisse Trennungszeit Voraussetzung für eine Scheidung, in anderen nicht. In einigen Ländern, darunter auch Österreich, kommt es beim Scheitern der Ehe auf das Verschulden an. Und in Malta darf man sich überhaupt nicht scheiden lassen.
Nach welchem Recht der Richter einen Fall mit Auslandsbezug letztendlich beurteilt, ergibt sich aus den nationalen Kollisionsnormen. Auch diese sind von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden. "Es gibt unterschiedliche Anknüpfungskriterien für die Beurteilung, welches Recht zur Anwendung kommt", erklärt Helmut Ofner, Professor am Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung an der Uni Wien. Ein Anknüpfungspunkt kann beispielsweise die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehepartner sein. Werden zum Beispiel zwei Spanier vor einem österreichischen Gericht geschieden, so muss der heimische Richter spanisches Recht anwenden. In anderen Staaten wiederum wie beispielsweise in England beurteilen die Gerichte die Fälle immer nach ihrem eigenen Recht.
Wer schneller ist, steigt
besser aus
Je nachdem, wo der Scheidungsantrag also gestellt wird, kann auf denselben Sachverhalt unterschiedliches Recht zur Anwendung kommen. Wer von den Ehepartnern daher schneller mit dem Scheidungsantrag ist, hat die besseren Karten in der Hand. Deshalb findet bei internationalen Scheidungen oft ein Wettlauf um die Zuständigkeit statt. Forum Shopping heißt dieses Phänomen und ist laut Kriegler "ein absolutes Problem". Der Partner, der die besseren Anwälte hat, wird bei diesem Wettkampf gewinnen. Diese müssen einmal feststellen, welches Gericht welche Rechtsordnung anwenden würde und rufen dann das Gericht an, das nach ihrer Ansicht für ihren Mandanten günstiger urteilen würde. Das erste Gericht, das mit der Sache befasst wird, bleibt auch dann zuständig, wenn später ein anderes Gericht angerufen wird.
Neue Regelung soll
vereinheitlichen
Eine neue EU-Verordnung soll dem Forum Shopping im Scheidungsrecht nun bald ein Ende machen. Sie will einheitlich regeln, welches Recht bei einer grenzüberschreitenden Scheidung anzuwenden ist und einige Lücken der Zuständigkeitsregelung schließen. Dadurch erhofft sich die Kommission mehr Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Entscheidungen.
Ofner ist überzeugt, dass es "noch länger dauern wird", bis die Verordnung in Kraft tritt. Kriegler hält eine Harmonisierung der Kollisionsnormen zwar für sinnvoll. Er zeigt sich aber skeptisch gegenüber dem Vereinheitlichungstrend auf EU-Ebene: "Keiner will ein europäisches Familienrecht." Diese Ansicht teilen auch die heimischen Notare, die sich zwar gegen eine Harmonisierung des Familienrechts, aber für europäische Kollisionsnormen in dem Bereich aussprechen.