Schottland will bis 2020 seinen gesamten Strombedarf aus erneuerbaren Energien beziehen.
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Edinburgh. Whisky trinken und Auto fahren ist eigentlich keine gute Kombination. Doch Martin Tangney, ein Professor aus Edinburgh, könnte die Welt bald eines Besseren belehren. Mit seinem Team hat er eine Methode entwickelt, die aus den Abfallstoffen der Whisky-Produktion Butanol und damit Biodiesel macht. Schottischer Whisky ist derzeit ohnehin in aller Munde. Der Konsum wächst nicht nur in den Boommärkten Asiens, sondern auch hierzulande. Die größten europäischen Abnehmer sind Frankreich und Spanien. Umgerechnet fast 7 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet die schottische Whisky-Industrie pro Jahr, weltweit sind das in etwa 40 verkaufte Flaschen pro Sekunde.
Scotch, wie er hier heißt, ist das Ergebnis einer langen Produktionskette. "Whisky macht eigentlich nur zehn Prozent der Leistung einer Brennerei aus", sagt Tangney, Direktor des Forschungszentrums für Biotreibstoffe an der Edinburgh Napier University.
Alles beginnt mit Gerste, die gemälzt wird und so Zucker freisetzt. Dieser wird herausgewaschen, Hefe und Wasser werden beigemischt. Das Ergebnis ist Bier, das wiederum destilliert wird. Der so erhaltene zunächst klare Alkohol wird dann in alten Weinfässern gelagert. Erst hier entstehen die goldene Färbung und der eigentliche, jeweils charakteristische Geschmack des Whisky. Mindestens drei Jahre und einen Tag muss die Spirituose lagern; sie vorher als Scotch zu verkaufen, wäre illegal.
Was bleibt, sind große Mengen gemälzte Gerste, 750.000 Tonnen sind es pro Jahr allein in Schottland, erklärt Tangney. Die Basis für große Mengen Whisky-Biodiesel "made in Scotland"?
Biodiesel hat für die Brennereien zwei entscheidende Vorteile: Er wirkt als kostenloser Abfallentsorger und sorgt ganz nebenbei für ein gutes Verkaufsargument. "Wir bieten grüne Glaubwürdigkeit", sagt Tangney und hält eine Whisky-Flasche in die Höhe, auf der ein grünes Recycling-Logo abgebildet ist.
Investoren gesucht
Das Potenzial ist laut Tangney enorm - denn Whisky wird längst nicht mehr nur in Schottland und Irland produziert. Außerdem wäre das Verfahren auch mit Abfallprodukten der Bier- oder Wodka-Herstellung möglich. Soweit der Plan. Das Problem: die Produktionskosten sind hoch, der Ölpreis dagegen derzeit sehr niedrig.
Die Whisky-Hersteller selbst sind zurückhaltend, was Investitionen anbelangt. Oder, wie es Produzent John Fordyce, Gründer der Three Still Company, ausdrückt: "Ich will nicht ins Energie-Business einsteigen. Ich bleibe lieber beim Whisky, das macht einfach mehr Spaß."
Tangney ist auf der Suche nach Investoren. Die Unsicherheit des Erdölpreises bringe Energie-Giganten dazu, nach günstigen und verlässlichen Alternativen zu suchen, sagt er. Hoffnung schwingt bei seiner Aussage mit. Er selbst ist längst nicht mehr nur Wissenschafter, zu verlockend fand er seine eigene Erfindung. Kürzlich hat er eine eigene Biodiesel-Firma namens Celtic Renewables gegründet.
Das Geschäftskonzept entspricht dem Stereotyp der schottischen Sparsamkeit. Denn die Basis bilden Abfallprodukte, die nichts kosten. Im Gegenteil, der Whisky-Abfall ist für die Hersteller sogar ein hoher Kostenfaktor. 280.000 britische Pfund (fast 400.000 Euro) betragen die Entsorgungskosten jährlich, klagt Whisky-Produzent John Fordyce.
Die Idee des Professors kommt ihm nicht nur deshalb wie gerufen. Für ihn sind auch die strengen Energie-Vorgaben der schottischen Regierung ein Problem. Bis 2020 will Schottland seine gesamte Stromversorgung mit erneuerbarer Energie decken. Das ist weltweit das ambitionierteste Ziel, auch verglichen mit den EU-Plänen von 20 Prozent erneuerbarer Energie bis 2020. Vermessen scheint es aber nicht zu sein.
Schon 2007 hatte Schottland sein Ziel übertroffen, bis 2011 mehr als ein Drittel seines Stroms aus erneuerbaren Quellen zu beziehen. Das war der Anlass, die Vorgabe von 50 auf 100 Prozent zu erhöhen.
Altfett statt Rapsöl?
Bisher setzte das Land im Norden Großbritanniens dabei vor allem auf Ökostrom aus Wind, Wellen und Tidenhub. Neben Gezeiten- und Wellenkraftwerken spielen Offshore-Windparks die größte Rolle. 40 Prozent der europäischen Offshore-Windressourcen werden in Großbritannien gewonnen. Doch der globale Transport ist immer noch absolut abhängig von Öl", sagt Biodiesel-Unternehmer Tangney. Laut einer Studie der Universität Leeds wird sich weltweit die Zahl der Automobile bis 2030 auf zwei Milliarden erhöhen. In China, Indien und Brasilien steigen die Absatzzahlen unaufhörlich. Von E-Mobilität kaum eine Spur - auch die großen Lastschiffe und Lkw-Flotten werden weiterhin mit Öl betrieben.
Mit steirischer Technik wird auch im schottischen Motherwell mit einer im Vergleich zu Whisky weniger appetitlichen Methode Biodiesel hergestellt. Talg aus Tierresten dient der Öl-Brennerei neben alten Speisefetten als Basis für die Produktion der sehr reinen Biodiesel-Sorte EN 14214.
Nach "Bio" sieht hier auf den ersten Blick nichts aus. Dunkler Rauch steigt aus den Schloten, große Tanklaster stehen bereit. Das behelfsmäßige Büro des schottischen Biodiesel-Pioniers Argent ist in einem schnöden, hellgrauen Stahlcontainer untergebracht. Obwohl der Wind in die entgegengesetzte Richtung bläst, riecht es übel-süßlich nach Verwesung.
Bessere Ökobilanz als bei Soja
Reste aus der Fleischproduktion und Kadaver von verendeten Tieren werden hier verwertet, das erhaltene Fett wird in einem komplizierten Verfahren destilliert und so zu Biodiesel verarbeitet. Mehr als 60 Millionen Liter sind es jährlich. Verkauft wird der Treibstoff vor allem auf dem heimischen Markt und in Europa. Außerdem ist Argent der erste europäische Anbieter, der auch auf dem US-Markt zugelassen ist.
Nun soll die Anlage erweitert werden. Das schottische Unternehmen setzt dabei auf Technik aus Graz. Die steirischen Anlagenbau-Spezialisten von BDI BioEnergy International errichten hier demnächst für 11 Millionen Euro eine Anlage zur Umwandlung von Abfallfetten, die vor allen aus Abflüssen der Industrie stammen. Das Geschäft läuft gut, aber Geschäftsführer Dickon Posnett bleibt realistisch: "Es wird niemals ausreichend Biodiesel geben, um den herkömmlichen Diesel zu ersetzen." Zumindest erhöht der aus Abfall gewonnene Treibstoff die Energiesicherheit, denn Altfett wird es auch weiterhin geben, und das Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft.
Doch wie sieht es mit der Ökobilanz des Biodiesels aus? "Seit 2005 konnten mithilfe unseres Biodiesel mehr als zwei Millionen Tonnen CO2 eingespart werden", sagt Posnett. So setzt etwa das große britische Busunternehmen Stagecoach auf Biodiesel von Argent. Vor allem im Vergleich zu anderen Biodiesel-Quellen wie Soja, Raps oder Palmöl sei die Altfettverwertung um einiges "grüner". Sojadiesel reduziert die Emissionen im Vergleich zu mineralischem Diesel um 57 Prozent, Biodiesel aus Altfetten schafft dagegen eine 86-prozentige Reduktion. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Environmental Protection Agency in den USA. Denn bei Nutzpflanzen zählen neben den Emissionen bei der Verbrennung auch jene beim Anbau und bei der Herstellung. Werden für die Kultivierung auch noch Regenwälder gerodet, sieht es umso schlechter aus für die Umweltwirkung.
"Von Gesetzen abhängig"
Wie für den Whisky-Biodiesel ist auch für Argent der niedrige Ölpreis ein großes Thema. Der Hintergrund: Regierungen vergeben Biodiesel-Zertifikate an Produzenten. Ölriesen wie BP haben Vorgaben, zu welchen Anteilen sie ihren Biodiesel mit herkömmlichem Diesel mischen müssen. Wird nicht genug beigemischt, müssen die Firmen Zertifikate von Biodiesel-Produzenten kaufen. Sinkt der Erdölpreis, kaufen die Energiefirmen statt Biodiesel eher Biodiesel-Zertifikate, um mehr herkömmlichen Diesel verwenden zu können. "Während andere Märkte von Konsumenteninteressen getrieben werden, ist unser Geschäft zu 100 Prozent von der Gesetzgebung abhängig", so Posnett.
Wirtschaftlich ist das für Argent derweil kein Problem, denn die Raffinerie verkauft auch selbst Zertifikate. Whisky-Biodiesel-Pionier Tangney kann davon bisher nur träumen.