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Wichtig, aber unwahrscheinlich: Eine klare EU-Entscheidung zur Türkei

Von Wolfgang Tucek

Analysen

Nach jahrzehntelanger Vorlaufzeit hat die Europäische Union mit der Türkei am 3. Oktober 2005 Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Seither ist jeder Schritt dieser Gespräche eine Belastungsprobe für die Entscheidungsfähigkeit der EU. Alle Beschlüsse sind einstimmig zu treffen - und Zypern blockierte schon die Vorarbeiten für die Eröffnung der 35 Verhandlungskapitel. Seine Argumentation, die Türkei könne nicht über die Aufnahme in einen Klub verhandeln, dessen Mitglieder sie nicht alle anerkenne, stößt auch weithin auf Verständnis.


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Wenn der finnische Premier und derzeitige EU-Vorsitzende Matti Vanhanen jetzt den Zeitdruck auf Ankara erhöht, ändert das nichts am Grundproblem: Ständig müssen Formulierungen gefunden werden, denen sowohl die Erweiterungsfreunde wie Großbritannien als auch die Skeptiker in Zypern, Frankreich und Österreich zustimmen können. Dementsprechend vage bleiben diese Kompromisse meistens.

Die türkische Regierung hat dagegen aus ihrer Linie noch nie ein Hehl gemacht: Parallel zur formellen Ausweitung der Zollunion auf alle neuen EU-Länder erklärte sie, Zypern werde nicht anerkannt, solange es keine akzeptable Friedenslösung für die geteilte Insel gebe. Zypriotische Schiffe werden erst dann türkische Häfen anlaufen dürfen, wenn die wirtschaftliche Isolation des türkisch kontrollierten Nordteils der Insel aufgehoben oder deutlich gelockert wird. Davon ist Ankara nie abgewichen und kann es schon aus rein innenpolitischen Gründen nicht. Nächstes Jahr stehen Präsidenten- und Parlamentswahlen an, ein Einlenken gilt als politischer Selbstmord.

Im September des Vorjahres pochten die EU-Außenminister auf die Umsetzung der Zollunion bis Ende 2006. Versäumnisse würden "den allgemeinen Fortschritt der Verhandlungen beeinflussen". Doch was die konkreten Auswirkungen dieser Erklärung sein könnten, darüber rätseln Diplomaten und Kommissionsbeamte seither.

Die USA etwa wollen aus der Formulierung überhaupt kein Ultimatum für Ankara herauslesen können. Es sei eine faktische Beobachtung, dass keine präzisen Fristen gesetzt worden seien, sagte jüngst ein hochrangiger Beamter des US-Außenministeriums. Die EU-Position sei "unklar". Die USA gehören zu den stärksten Unterstützern der Türkei auf ihrem Weg in die EU. Für Washington ist es verlockend, den wichtigen Nato-Verbündeten in den europäischen Strukturen fest verankert zu wissen.

Die Union tut sich dabei aber noch schwer. Auch Vanhanen will lediglich eine "geeignete Antwort" auf türkische Versäumnisse finden. Und dass er das Thema vom EU-Gipfel im Dezember fernhalten will, scheint absurd. Praktisch alle Entscheidungen in Sachen Türkei sind bisher in letzter Minute und unter Einbindung der höchsten politischen Ebene getroffen worden. Diesmal geht es um nicht weniger als die teilweise Suspendierung der Beitrittsverhandlungen. Seite 6