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Wider das Transparenz-Pathos

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Die Kehrseite der Transparenz ist, so schreibt der Philosoph und Kulturtheoretiker Byung-Chul Han, die Pornografisierung.

Es mag seltsam anmuten, just an einem Tag, an dem die Bundesregierung endlich doch noch ein dringend benötigtes Transparenzpaket präsentiert, vor den Gefahren einer schrankenlosen Durchleuchtung zu warnen. Angesichts einer zusehends um sich greifenden Transparenz-Hysterie, vor der kein Lebensbereich mehr sicher ist, ist das jedoch durchaus angebracht.

Vertrauen ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir Geheimnisse akzeptieren oder zumindest dulden. Nur leben wir heute in einer Kultur, die von Misstrauen und Verdächtigungen geprägt ist. Personen des öffentlichen Lebens, egal, ob nun Politiker oder nur prominent, erfahren das als Erste und am unmittelbarsten. Aber auch vor allen anderen kennt die allgemeine Enthüllungswut keine Grenzen.

Natürlich geht es dabei um Kontrolle, zuvorderst um die Unterbindung von Missbrauch, Korruption und Kriminalität, also den negativen Folgen von Freiheit. Der Verlust des Vertrauens führte zur Annahme eines Generalverdachts, von dem sich keiner mehr ausnehmen kann. Gefangen in dieser fatalen Logik kann nur ein ständiges Mehr an Kontrolle das grassierende Misstrauen schmälern. Transparenz schafft kein Vertrauen, sondern nur das Bedürfnis nach noch mehr Transparenz. Ein Teufelskreislauf ohne Ausweg.

Kein Wunder, dass der deutsche Soziologe Georg Simmel davon überzeugt war, dass das Geheimnis zu den größten Errungenschaften der Menschheit zählt.

Der Ruf nach Transparenz und Offenlegung ist ein Kind der Aufklärung. Die Mächtigen sollten so zusehends von ihrer Aura des Unantastbaren befreit werden. So gesehen ist Wissen tatsächlich Macht in den Händen der Bürger - und Transparenz im Umgang mit Steuergeld und bei der Parteienfinanzierung eine banale, längst überfällige Selbstverständlichkeit.

Für eine gesamte Gesellschaft jedoch taugt Transparenz als Gestaltungsprinzip nicht. Unser Zusammenleben wird dadurch weder offener noch transparenter und schon gar nicht demokratischer. Angesichts des allseits herrschenden Pathos der Transparenz empfiehlt der aus Südkorea stammende und in Karlsruhe lehrende Philosoph Han, "sich im Pathos der Distanz zu üben". Das könnte durchaus befreiend wirken.