Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 25 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
So einig waren sich die Mitglieder des Verfassungsausschusses selten. Als die Regierungsvorlage in der letzten Sitzung vor der Sommerpause zur Diskussion stand, hagelte es Lob von allen Seiten.
Von einer wichtigen Initiative sprach LiF-Abg. Volker Kier, FPÖ-Justizsprecher Michael Krüger äußerte sich ebenso zustimmend wie seine Kollegin von den Grünen, Terezija Stoisits. Und die beiden
Koalitionspartner freuten sich sowieso.
Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes hatte einen außergewöhnlichen Entwurf ausgearbeitet: ein Gesetz zur Abschaffung von Gesetzen. Rund 200 Rechtsvorschriften, die heute keiner mehr braucht,
sollten, so der Vorschlag, mit einem Schlag außer Kraft gesetzt werden. Ein Unterfangen, das sowohl vom Nationalrat als auch vom Bundesrat einhellig gebilligt wurde.
Zwar blieb bei manchem Mandatar ein Restzweifel, ob die eine oder andere gestrichene Vorschrift nicht vielleicht doch einmal benötigt würde, die Gefahr dürfte aber wohl gering sein. Handelt es sich
bei den vom Ersten Bundesrechtsbereinigungsgesetz umfassten Rechtsnormen doch in erster Linie um solche, die noch aus Zeiten der Monarchie oder der Ersten Republik stammen. Konkret wurde beschlossen,
dass alle noch geltenden einfachen Gesetze und Verordnungen, die vor dem 1. Jänner 1946 kundgemacht wurden, mit Ablauf dieses Jahres außer Kraft treten, es sei denn, ihre weitere Geltung wird
dezidiert im Anhang des Gesetzes angeführt.
Eid der Mennoniten
Dabei birgt die Liste jener Rechtsnormen, auf die auch in Zukunft nicht verzichtet werden kann, aus Sicht eines Außenstehenden durchaus einige Kuriositäten. Dass das Allgemeine Bürgerliche
Gesetzbuch (ABGB) nicht abgeschafft wird, ist zwar nicht weiter verwunderlich, ebenso mögen das "Bundesgesetz vom 16. November 1921 über die Haftung der Gastwirte und anderer Unternehmer" oder das
"Gesetz vom 7. Juli 1896 betreffend die Einräumung von Nothwegen" heute noch ihre Berechtigung haben. Wozu man aber das "Hofdecret vom 10ten Januar 1816, an das galizische Appelations-Gericht,
einverständlich mit der Hofcommission in Justiz-Gesetzsachen (Betrifft: Gerichtlicher Eid der Mennoniten)", braucht, ist eine Frage, die wohl nur Experten beantworten können.
Offenbar nach wie vor benötigt wird auch die "Verordnung des Staatsministeriums vom 8. December 1860, wirksam für Böhmen, Galizien und die Bukowina, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg,
Steiermark, Kärnthen, Krain, das Küstenland, Mähren, Schlesien, Tirol mit Vorarlberg, dann für das lombardisch-venetianische Königreich, womit die, mit allerhöchster Entschließung vom 6. October 1860
genehmigten Grundzüge für die Organisirung des Staatsbaudienstes kundgemacht werden". Die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen.
Auch aus der Zeit zwischen 1938 und 1945 werden einige Normen weiter in Geltung stehen, insbesondere in den Bereichen Eherecht, Kirchenbeitragsrecht, öffentliches Gesundheitswesen,
Binnenschifffahrtsrecht und Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht. Allerdings ist die Aufhebung bzw. Ersetzung der reichsdeutschen Vorschriften über Wohnungsgemeinnützigkeit bis längstens 31. Dezember 2009
in Aussicht genommen, wie im übrigen auch andere zunächst noch weitergeltende Rechtsnormen mit einem konkreten Ablaufdatum versehen wurden. So wird das "Gesetz vom 2. August 1892 womit die
Kronenwährung festgestellt wird" ebenso am 31. Dezember 2004 auslaufen wie das "Gesetz vom 19. Juli 1879 betreffend die Verpflichtung der Desinfektion bei Viehtransporten auf Eisenbahnen und
Schiffen".
Trotz der Aufrechterhaltung manch kurios anmutender Vorschrift ist die Bereinigungsrate beachtlich. Von den zu berücksichtigenden etwa 500 Stammnormen (Erfassung einer Vorschrift samt Novellen)
werden mit In-Kraft-Treten des Ersten Bundesrechtsbereinigungsgesetzes am 1. Jänner 2000 rund 200 sofort aufgehoben, weitere 50 gelten nur noch zeitlich begrenzt weiter. Das bedeutet, dass rund die
Hälfte aller Rechtsnormen, die vor 1946 kundgemacht wurden, abgeschafft und damit tausende Seiten von Vorschriften hinfällig werden, wie ÖVP-Klubobmann Andreas Khol in der Sitzung des
Verfassungsausschusses betonte.
Projekt Rechtsbereinigung
Das verabschiedete Erste Bundesrechtsbereinigungsgesetz ist aber nur das erste Ergebnis eines ehrgeizigen Projektes, dessen Grundstein die Regierung im Koalitionsübereinkommen 1996 gelegt hat.
Dort schrieben SPÖ und ÖVP dezidiert Rechtsbereinigung und Rechtsvereinfachung als gemeinsames Ziel fest. Konkret lautet der Arbeitsauftrag, alle Rechtsvorschriften auf deren Wirksamkeit, Bedarf,
Anwenderfreundlichkeit und Überschaubarkeit zu überprüfen. Damit will man nicht nur einen Schritt zur Sicherung und Verbesserung der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Österreich setzen, sondern
auch der immer wieder erhobenen Forderung nach einem besseren Zugang zur österreichischen Rechtsordnung Rechnung tragen.
Im Rahmen des Projekts ist nicht nur geplant, das österreichische Bundesrecht, das derzeit etwas mehr als 4.500 Stammnormen umfasst, im Hinblick auf die Notwendigkeit von Gesetzen und Verordnungen zu
durchforsten, es sollen auch inhaltlich zusammengehörige Normen in möglichst einer Rechtsvorschrift zusammengefasst und bereinigte Textfassungen erstellt werden, also neben einer formalen auch eine
strukturelle und eine inhaltliche Rechtsbereinigung erfolgen. Die Sichtung der von Österreich abgeschlossenen Staatsverträge und die Durchforstung des Bundesverfassungsrechts ist dabei eigenen
Bereinigungsprojekten vorbehalten.
Dass das alles kein einfaches Unterfangen wird, ist allen Beteiligten klar, wurden doch seit den 60er Jahren immer wieder Versuche in Richtung Rechtsbereinigung unternommen, bislang mit eher geringem
Erfolg. So harrt die Neukodifikation der Bundesverfassung, ein besonderes Anliegen etwa des langjährigen Bundesratsvizepräsidenten Herbert Schambeck, trotz jahrelanger entsprechender Bemühungen nach
wie vor der Realisierung. Und auch die im Sozialministerium 1994 per Verordnung eingerichtete Kommission zur Vorbereitung der Neuerlassung der Sozialversicherungsgesetze stößt auf offenbar
unüberwindbare Hindernisse · kein Wunder, werden doch jedes Jahr gleich mehrere ASVG-Novellen beschlossen.
Mit der Verabschiedung des Ersten Bundesrechtsbereinigungsgesetzes dürfte aber Bewegung in die Sache kommen. Nach Fertigstellung dieses Entwurfs, eine im übrigen ungeheuer aufwendige Arbeit, wie
Staatssekretär Peter Wittmann mehrfach betonte, hat der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes die Durchforstung der zwischen 1946 und 1955 kundgemachten Gesetze und Verordnungen in Angriff
genommen. Darüber hinaus haben bereits mehrere Bundesländer Schritte zur Rechtsbereinigung auf Landesebene gesetzt, so etwa Niederösterreich, die Steiermark und Wien.
Der immer wieder geäußerte Vorschlag, Gesetze generell nur noch befristet zu beschließen, wird sich wohl nicht durchsetzen. Zwar erscheint es durchaus vernünftig, jede einzelne Gesetzesbestimmung
nach einer gewissen Zeitspanne erneut auf ihre Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit zu überprüfen, der damit verbundene Zeitaufwand wäre aber ernorm. Zudem drohte die Gefahr von Lücken in der
Rechtsordnung, sollte ein Gesetz auslaufen, ohne dass zuvor ein Konsens über eine Neuregelung gefunden wird. Bei einigen wenigen Materien wie beipielsweise Lauschangriff und Rasterfahndung ist das
Prinzip der Befristung aber bereits zum Durchbruch gelangt. Nur wenn sich die Bestimmungen in der Praxis bewähren, werden sie beibehalten. Õ
Gerda Steinberger ist Mitarbeiterin der Parlamentskorrespondenz