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Wider die Unintelligenz

Von Simon Rosner

Politik
Denken muss auch im Wahlkampf möglich sein. Rodins "Penseur" denkt schon seit mehr als 100 Jahren nach.
© corbis/Owen Franken

Denkfabriken versuchen, mit Studien und Meinungen in Debatten zu punkten.


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Wien. Mag sein, dass der Wahlkampf die "Zeit fokussierter Unintelligenz" ist, wie es Wiens Bürgermeister Michael Häupl einmal ausdrückte, aber versuchen kann man es ja einmal, das Nachdenken. Vermutlich nicht ganz zufällig wird sich noch im September die Agenda Austria mit einer Studie an die Öffentlichkeit wenden, wie bei der Präsentation des Thinktanks angekündigt wurde.

Ob Thinktank, Denkfabrik oder Bewegung - es gibt mittlerweile eine ganze Reihe an privat finanzierten Instituten und Foren, die mit ihren Beiträgen zu politischen Themen in die öffentliche Debatte drängen. Die Agenda Austria um den "Presse"-Journalisten Franz Schellhorn hat sich schon vor einigen Monaten formiert. Es ist ein Thinktank im klassischen Sinn, also anglo-sächsischer Prägung. Als "unabhängig, aber nicht neutral", umriss Schellhorn die Agenda Austria. Nicht neutral, weil die Agenda eben eine Agenda hat, und zwar "Lösungen im Sinne der Marktwirtschaft".

Das Jahresbudget beträgt zumindest eine Million Euro, wobei die Financiers erst mit Jahresende bekannt gemacht werden sollen. Mit dem Geld sollen jährlich vier Studien verfasst und Veranstaltungen organisiert werden.

"Wir sind neutral, aber nicht unabhängig", sagt Milo Tesselaar von Denkt.at, einer neuen Denkfabrik, wie er sie nennt, die Anfang September ihren Starttermin hat. "Ich sage das natürlich mit einem Augenzwinkern, weil ich nicht an die Unabhängigkeit im Sinne der Objektivität glaube." Denkt.at wird eine betont unideologische Plattform sein, was Schellhorns Forum eben nicht ist.

Die Agenda Austria wird zwar wissenschaftliche Studien publizieren, also keine Meinungen, sehr wohl aber eine Haltung transportieren, eine Sichtweise, eben die Perspektive des Marktes. Bei gesellschaftspolitischen Themen wie Bildung oder Gesundheit arbeite man völlig "ergebnisoffen", sagt Schellhorn, der seine Agenda als "erste von Staat, Parteien, Kammern und Interessensverbänden unabhängigen" Thinktank bezeichnet. Im österreichischen Regelfall werden politische Debatten mit den Waffen dieser Interessensvertretungen, also Studien von AK, WKO, IV, ÖGB und Co., geführt.

G’scheiter streiten

Der Ökonom Peter Brandner hat mit seiner "Weis(s)en Wirtschaft" ebenfalls einen Thinktank initiiert, der sich derzeit sogar komplett durch die Protagonisten selbst finanziert. "Wir wollen mehr Sachverstand in die politische Diskussion einbringen", sagt Brandner. In ihren Positionen hat die Denkfabrik den "politischen Liberalismus" festgeschrieben, die Ausrichtung der "Weis(s)en Wirtschaft" umreißt Brandner aber als "viel offener" als jene der Agenda Austria. "Wir sehen das nicht ausschließlich aus dem Blickwinkel der Marktwirtschaft."

Als Experten - im Beirat sitzen Personen wie Bernhard Felderer vom IHS, der Marktforscher Peter Ulram oder der ehemalige Uni-Rektor Georg Winckler - verfüge man über "eine bunte Mischung", sagt Brandner. Durch diese breite Aufstellung könne man die Komplexität gewisser Themen besser abbilden. "Wir sind sehr offen und wollen einen wissensbasierten Disput auslösen."

Die auf der Homepage der Gruppe veröffentlichten Positionen sind weit gefasst, durchwegs liberal, reichen von Asylpolitik über Bildung bis zur Wirtschaftspolitik, sind also fast so detailliert wie das Wahlprogramm einer Partei. Brandner sieht seinen Thinktank eben auch als "Bürgerbewegung". Zehn Tage vor der Wahl veranstaltet die "Weis(s)e Wirtschaft" einen Salon mit einer Analyse des Wahlkampfs.

Vor der Nationalratswahl am 29. September schickt auch Tesselaar seinen "Prototypen" los. "30 Denker unter 40", nennt sich die Idee für den Wahlkampf. 30 junge Autoren sollen ihre politischen Ideen einbringen. Dabei sind unter anderem der Biologe Clemens Arvay, die Schriftstellerin Cornelia Travnicek, die Musikerin Violetta Parisini und Sektion-8-Leiter Niko Kowall.

Bei Denkt.at schreiben zwar Akademiker, aber anders als bei der Agenda Austria geht bei diesem Thinktank nicht um eine wissenschaftliche Aufbereitung. "Im Sinne der Transparenz sagen wir gleich von Anfang an, dass es immer mit Meinungen zu tun hat", sagt Tesselaar, der seine Denkfabrik über Crowdfunding finanzieren will. In weiterer Folge will er sich aber auch privaten Geldgebern öffnen. "Wir treten als Kurator auf, interessieren uns für neoliberale und sozialistische Positionen. Wir suchen den Widerspruch."