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Wider die Verkürzung der Politik

Von Lukas Kaelin

Gastkommentare
Lukas Kaelin ist Philosoph und Medizinethiker an der Katholischen Privat-Universität Linz.
© Sparkasse OÖ

Es geht nicht bloß um die nächste Wahl. Es geht auch darum, Themen zu setzen und den öffentlichen Diskurs zu prägen.


Andreas Bablers letztlich erfolgreicher Kampf um den SPÖ-Vorsitz basierte auch auf einer geschickten Nutzung der Möglichkeiten der digitalen Öffentlichkeit. Sein über Social Media ausgetragener Wahlkampf führte bei geringen finanziellen Ausgaben zu einem Vielfachen an Interaktionen im Vergleich zu seinen beiden Konkurrenten. Doch der Achtungserfolg in der Mitgliederbefragung und der Vollerfolg beim Parteitag wurden häufig skeptisch kommentiert, was seine Erfolgsaussichten bei Wahlen betrifft: In Österreich gebe es keine linke Mehrheit, Wahlen würden in der Mitte gewonnen, die Deutungshoheit in der Twitter-Blase sei nicht repräsentativ für die Stimmung der Bevölkerung im Ganzen.

Neben dem Ressentiment, das dabei zum Ausdruck kommt, sind diese Beurteilungen von einem verkürzten Begriff der Politik und mangelndem Verständnis der veränderten Bedingungen der digitalen Öffentlichkeit getragen. In der massenmedialen Kommentierung des SPÖ-Führungsstreits stand die Frage nach den Erfolgsaussichten bei Wahlen im Zentrum. Selbstverständlich ist es ein wichtiger Aspekt des politischen Handelns, Wahlen zu gewinnen, mit der Regierungsbildung betraut zu sein und erfolgreich ein politisches Programm umzusetzen. Wer jedoch die Politik allein auf die praktische Regierungsoption verkürzt, beraubt sich der Möglichkeit, die Gesellschaft umfassend politisch zu gestalten. Denn es geht im Politischen darum, Themen zu setzen und Parameter des öffentlichen Diskurses zu verschieben. Damit kann es im Idealfall gelingen, dass das ganze Feld der Politik sich verändert. In den USA hat so Bernie Sanders den Begriff des Sozialisten wieder salonfähig gemacht. Und Jeremy Corbyn hat in Großbritannien ein Bekenntnis zum staatlichen Gesundheitssystem quer durch alle Parteien erreicht. Den Begriff des Marxismus im politischen Feld zu rehabilitieren - gegen alle verkürzenden und verstellenden Interpretationen -, würde beispielsweise eine solche Verschiebung des Diskurses bedeuten.

Wo Wahlen gewonnen werden

Wer eine solche Themensetzung und Diskursverschiebung anstrebt, muss sich den Bedingungen der politischen Öffentlichkeit stellen. In der digitalen Öffentlichkeit bestehen neue Möglichkeit der Themensetzung. Die neuen Disseminationsstrukturen erlauben es, wie etwa die erfolgreiche Präsenz der FPÖ unter HC Strache auf Social Media gezeigt hat, erfolgreich Themen zu setzen und den Diskurs zu prägen. Warum sollte das nicht auch nach links möglich sein?

Entscheidend ist dabei, dass die Funktionslogik der digitalen Öffentlichkeit, die Emotionalisierung und Interaktionen algorithmisch belohnt, genutzt wird. Dies bedarf aber auch der Kenntnis der Rolle der Filtermechanismen und muss auf eine Beeinflussung der größeren Öffentlichkeit jenseits der unmittelbaren politischen Gruppierung abzielen.

Wahlen, so ein Gemeinplatz, werden in der Mitte gewonnen. Daher wurden gemeinhin nur Hans Peter Doskozil mit seiner migrationspolitisch harten Linie realpolitische Chancen zugerechnet, eine türkis-blaue Mehrheit zu verhindern. Auch das gibt jedoch das Feld des Politischen nur verkürzt wieder. Nun soll hier nicht der Hufeisentheorie das Wort geredet werden, nach der sich die extreme Rechte und Linke berühren. Natürlich haben politische Akteure ein großes Interesse, politische Angebote für die Menschen in der erodierenden gesellschaftlichen Mitte zu machen. Links/Rechts ist jedoch nur eine Art und Weise, das politische Feld zu beschreiben.

Der Vergleich mit dem Populismus in anderen Ländern zeigt: Die Unterscheidung zwischen gesellschaftlicher Mitte und unterschiedlichen Formen von populistischem Protest und Widerstand ist ebenso wichtig. Bei allem Ressentiment, das dabei mitschwingt, geht es dem Populismus entscheidend um die Produktion eines konstitutiven Gegensatzes, der die Gesellschaft in zwei Teile scheidet: Bei Rechtspopulisten sind es "wir", die hart arbeitenden ehrlichen Österreicher, gegen die anderen, die Ausländer, die unseren Wohlstand bedrohen, und die Eliten. Das von Linken konstruierte "Wir" der Arbeiterschaft steht dem Kapital gegenüber. Das muss die Antwort auf die Frage sein, wie man sich als Marxist versteht.

Instabile Wählerblöcke

Die Funktionsweise der digitalen Öffentlichkeit mit ihren Filtermechanismen und der Präferenz für emotionalisierte Diskursformen fördert diese Form populistischer Politik. Die politische Kunst besteht darin, diese neuen Aktivitäts- und Beziehungsformen auf Dauer zu stellen und eine Themensetzung zu betreiben, die über die unmittelbaren Anhängerinnen und Anhänger hinaus wirkt. Im Gegensatz zu verkürzenden Diagnosen von abgeschotteten Filterblasen erreichen jedoch die Sozialen Medien mit ihren umfassenden Vernetzungen, die teilweise quer zu politischen Überzeugungen liegen, auch politisch Andersdenkende. Mögen die Filterblasen noch durch die Massenmedien geistern, wissenschaftlich sind sie kaum haltbar.

Die politische Kommentierung geht von einem Kräfteverhältnis aus, das die Resultate aktueller Meinungsumfragen statisch in die Zukunft verlängert. Aber die jetzigen 30 Prozent für Herbert Kickls FPÖ in Umfragen sind kein Naturgesetz. Der Blick auf die vergangenen Jahre zeigt, wie schnell die politischen Stimmung wechseln kann, die von (welt-)politischen Ereignissen, Fehlern der politischen Akteure und deren politischem Geschick abhängig ist. Es zeugt von mangelnder Vorstellungskraft, den politischen Status quo als handlungsleitenden Maßstab für die Politik zu nehmen. Und wenn politisches Handeln in einen weiteren zeitlichen Kontext gestellt wird, so wird die Dynamik der wechselnden Wählerblöcken umso deutlicher sichtbar. Das hat nicht zuletzt Didier Eribon anhand der wechselnden Loyalität der Arbeiterschaft von den Kommunisten zum Front National innerhalb einer Generation eindrucksvoll beschrieben.

Die gegenwärtigen krisenhaften ökonomischen und sozialen Umwälzungen und die Veränderungen der digitalen Öffentlichkeit schaffen eine politische Situation, in der parteipolitische Loyalitäten stärker in den Hintergrund rücken. Der Kampf um eine überzeugende Botschaft im Bereich der politischen Kommunikation findet intensiviert und emotionalisiert in den unterschiedlichen Foren der sich differenzierenden digitalen Öffentlichkeit statt. Politisches Handeln besteht in einem emphatischen Sinn nicht im Schielen auf unmittelbare Wahlergebnisse und Koalitionsoptionen, sondern in einem leidenschaftlichen Eintreten für eine Vision von Gesellschaft. Dies sollte auch im Zentrum der politischen Berichterstattung stehen.