Zwei neue, sehr divergierende Erzherzog-Biographien.
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Jean-Paul Bled, Professor für Neuere österreichische und deutsche Geschichte an der Pariser Sorbonne, ist ein exzellenter Kenner der Geschichte des Hauses Habsburg-Lothringen mit Schwerpunkt auf dem 19. und 20. Jahrhundert. Diese thematische Meisterschaft zeichnet auch seine Biographie über Erzherzog Franz Ferdinand aus. Bled zeichnet ein ausgewogenes Charakterbild des unpopulären österreichischen Thronfolgers mit allen seinen bekannten Schatten- und Lichtseiten, das er ausführlich und präzise in das innenpolitische Umfeld und das außenpolitische Geschehen in der damaligen europäischen Staatenwelt einbaut und stilistisch brillant darstellt.
Mit dem zur Verfügung stehenden Quellenmaterial und der umfangreichen Primär- und Sekundärliteratur bestens vertraut, setzt Bled da und dort neue Akzente. Die Geschichtsschreibung ist ja in letzter Zeit darum bemüht, eine Neueinschätzung der widersprüchlichen Persönlichkeit Franz Ferdinands vorzunehmen und dessen politischen Zielsetzungen markanter und eindeutiger herauszuarbeiten. Mittlerweile kann als gesichert gelten, dass der polternde, explosive, jagdwütige Thronfolger kein Kriegstreiber war, als der er von gewisser Seite verteufelt wurde, aber natürlich auch kein Pazifist. Er war ein Befürworter des Friedens, ohne das Risiko des Krieges auszuschließen, urteilt Bled. Dass Franz Ferdinand privat ein zärtlicher Ehegatte und ein liebevoller Vater seiner drei Kinder war, hat sich bereits herumgesprochen. Im Abschlusskapitel seiner lesenswerten Biographie treibt der Autor ein nettes, aber durchaus entbehrliches "Spiel mit Hypothesen". Hätte Franz Ferdinand die Monarchie gerettet? Was wäre gewesen, wenn. . . ? Ja, was wäre gewesen, wenn er gar nicht gelebt hätte? Eben.
Der Autor widmet sein Buch dem Militärhistoriker Dr. Peter Broucek, eine mehr als verdiente Ehrung.
Anita Hohenberg, die charmante Schlossherrin von Artstetten, lächelt neben ihrem Urgroßvater, Erzherzog Franz Ferdinand, der mit ordengeschmücktem Waffenrock und strenger Miene (man kennt ihn gar nicht anders) dem Betrachter entgegenblickt, vom Bookcover. Und dieses sanfte Lächeln weht auch durch den gesamten Text des Buches, den die Herzogin mit der Sachbuchautorin Christiane Scholler in langen Gesprächen abgefasst hat.
Anita Hohenberg sieht ihren Urgroßvater durch eine rosarote Brille. Ihre kritischen Anmerkungen zum Charakter- und Weltbild ihres Urahnen sind von verständnisheischender Nachsicht. Das kann man ihr zwar nicht verargen, aber wer sich nicht näher mit dem österreichischen Thronfolger beschäftigt hat, bekommt in diesem Buch ein, wie es heute so unschön heißt, geschöntes Bild vom Persönlichkeitsprofil Franz Ferdinands vorgesetzt.
Im Klappentext steht zu lesen, der wahre Mensch hinter der offiziellen Fassade des Erzherzogs sei nie so beschrieben worden. Das ist doch wohl ein wenig anmaßend, denn Franz Ferdinand ist auch für Anita Hohenberg nur eine historische, wenn auch blutsverwandte Persönlichkeit.
Das reich bebilderte Buch, das in mehreren Passagen zu einer Besichtigung von Artstetten einlädt, bietet für den Kenner inhaltlich nichts Neues. Es wirbt in einem mit Absicht gewählten, teils jovialen Umgangston, fragwürdigen Vergleichen zwischen damals und heute auf einer emotionalen Schiene um das Verständnis des Lesers für eine umstrittene Persönlichkeit und für das partiell tragische Schicksal einiger seiner Nachfahren.
Jean-Paul Bled: Franz Ferdinand. Der eigensinnige Thronfolger. Böhlau Verlag, Wien 2013, 322 Seiten, 35,- Euro.
Anita Hohenberg: Er war mein Urgroßvater. Styria Verlag, Wien 2013, 160 Seiten, 24,99 Euro.