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Widerstand gegen Abschiebungen

Von Emanuela Hanes

Politik

Dutzende Vereine fordern Widerstand gegen Abschiebungen. | "Protestkarte" zeigt zahlreiche Fälle entlang Nordrand Österreichs. | Lokale Initiativen können Abschiebungen oft verhindern. | Wien. Seitdem ab Ende 2007 der Fall Arigona Zogaj mit großem öffentlichem Interesse verfolgt wurde, häufen sich die Berichterstattungen über Abschiebeverfahren, die durch Zivilcourage verhindert werden konnten. Der Fall verwandelte die Abschiebethematik von einer internen Angelegenheit des Innenministeriums in eine moralische Frage, die alle Bürger betrifft.


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"Es sind lokale Initiativen von Menschen mit Zivilcourage oder auch Organisationen, die sich diesem Thema verpflichtet haben", so die Politikwissenschafterin Sieglinde Rosenberger.

Mittlerweile hat man sich sogar vernetzt: "Gerade in Oberösterreich ist die Szene sehr gut organisiert", erklärt Martin Pollak von SOS Mitmensch. Auch Prominente setzen sich immer wieder öffentlichkeitswirksam gegen Abschiebungen ein. Beim Anti-Abschiebungs-Videoclip "Lass ma’s bleiben", beteiligten sich unter anderem Josef Hader und Robert Palfrader.

Der Hauptgrund für Aktionen gegen Abschiebungen ist das Gefühl von Verantwortlichkeit für Abschiebekandidaten. Diese werden laut Paul Aigner (Grüne Tirol) Opfer des "zynischen Fremdenrechts, das sich immer weiter verschärft." Die restriktive Gesetzgebung führte zu weniger Asylanträgen. 2010 gingen mit 11.000 Anträgen etwa 30 Prozent weniger ein als noch im Vorjahr. Die überwiegende Zahl der Anträge wurde negativ entschieden.

Asylverfahren dauern jedoch oft viele Jahre. "Wenn der negative Bescheid dann kommt, haben viele Betroffene bereits Deutsch gelernt und sich so weit integriert, dass sie Österreich als ihr Heimatland ansehen - eigentlich das ideale Szenario für eine Einbürgerung", so der Student Robert Z., der das Abschiebeverfahren von Ousmane C. verhinderte. "Doch letzten Endes ist es reine Ermessenssache, wie entschieden wird", betont Flüchtlingshelferin Ute Bock, die aus diesem Grund seit den 1990ern mit Flüchtlingen zusammenarbeitet. "Die meisten Bescheide haben nicht einmal eine Begründung", erklärt sie fassungslos.

"Nachvollziehbarer Prozess"

Dagegen spricht Rudolf Gollia, der Pressesprecher des Innenministeriums, von dem Asylverfahren als einen "nachvollziehbaren Prozess", der "durchaus Möglichkeiten dafür lässt, auch bei negativem Entscheid in Österreich zu bleiben." Es komme auch öfter vor, dass eine geplante Abschiebung nicht stattfindet: "Wenn die abzuschiebende Person sich wehrt, dann wird die Abschiebung unterbrochen", stellt Gollia klar. Diese Praxis war eingeführt worden, nachdem Markus Omofuma am 1. Mai 1999 auf einem Abschiebeflug starb. Auch wenn die anderen Flugpassagiere eines Fluges sich weigern, mit einem Abzuschiebenden zu fliegen, darf dieser wieder aussteigen.

Proteste im ganzen Land

Unter der Leitung von Sieglinde Rosenberger erforschen derzeit elf Wissenschafter in der Forschungsgruppe Inex (Politics of inclusion and exclusion) Abschiebefälle in Österreich. Sie erstellt fortwährend eine "Protest-Karte" mit den Orten, an denen sich Einzelne oder Institutionen gegen die Abschiebung von Asylwerber eingesetzt haben. "Wir wollen wissen, was welche Menschen wo als ungerecht empfinden und warum sie etwas dagegen tun", fasst Rosenberger das Forschungsinteresse zusammen. Rosenberger ermutigt zu Kontaktaufnahmen mit dem Projekt: "Wir sind auf Informationen von Beteiligten angewiesen." "Es gibt viele kleine Aktionen von den verschiedensten Gesellschaftsschichten", so Martin Pollak von SOS Mitmensch. Herbert Langthaler von der Asylkoordination Wien geht von etwa dreißig Fällen in den letzten fünf Jahren aus, in denen selbstständige Initiativen drohende Abschiebungen verhindern wollten.

Eine kurze Übersicht: 2009 konnte mit Hilfe von Ute Bock und dem Verständnis der zuständigen Beamten die Abschiebung der sechsköpfigen armenischen Familie Basikian verhindert werden. Im Februar 2010 versuchte die Nachbarschaftsinitiative der Gemeinde Röthis, die Abschiebung einer kosovarischen Familie zu verhindern. Der Fall erlangte so große Aufmerksamkeit, dass ein Buch über die Aktion veröffentlicht wird.

Am 22. März begann das Abschiebeverfahren der Familie des schwerstbehinderten Mädchens Ani R. Die Veröffentlichung der Details durch den Verein mobilisiert Menschen in ganz Österreich gegen das Vorgehen der Behörden in Baden. Daraufhin bekam Ani R. das Aufenthaltsrecht.

In Salzburg wurde am 4. Mai durch die Initiative des Musikpädagogen Georg Klebel Wahabu Musha nach zwei Tagen aus der Schubhaft entlassen. Einige hundert Menschen hatten vor der Landespolizeidirektion Salzburg für die Freilassung des Ghanaers protestiert. Die Abschiebung des Gambiers Lamin Jaiteh wurde am 10. Mai verhindert, nachdem 200 Menschen die Ausfahrten des Polizeigebäudes blockierten. Etliche Prominente sprachen sich für ein Bleiberecht Jaitehs aus, darunter Robert Menasse. Die Evangelische Kirche Österreich bot an, erstmals in Österreich Kirchenasyl auszusprechen. Die Situation ist noch unklar.

Von Studenten gerettet

In Steyr demonstrierten am 11.Mai mehr als 200 Menschen gegen die Abschiebung des 23-jährigen Mongolen Ganaa Tsagaanbaatar. Derzeit prüft das Magistrat Steyr, ob die Voraussetzungen für ein humanitäres Bleiberecht vorliegen. Die Abschiebung von Ousmane C. wurde von einem Studenten verhindert, der wegen einer Verwaltungsstrafe seine Zelle teilte. Robert Z. und Anwalt Dr. Zanger erreichten eine einstweilige Verfügung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs über Österreich: Ousmane darf nicht abgeschoben werden, weil er in Guinea in Lebensgefahr schwebt. Das Engagement von 120 Aktivisten hatte zuvor seinen Abflug am Flughafen verhindert. Robert Z. hält sich seitdem aus dem Fall heraus: "Ich hatte davor keine Ahnung von Asyldingen. Aber ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ich frei bin und Ousmane nicht. Es hat sich ausgezahlt, aber es war emotional extrem anstrengend." Ousmane wartet auf eine Entscheidung.

Protestkarte: http://inex.univie.ac.at/

Organisationen, die Aktionen gegen Abschiebungen unterstützen: Freunde-Helfen-Haus, Verein Flüchtlingsprojekt Ute Bock, Plattform Bleiberecht Innsbruck, Asylkoordination Wien, Diakonie, Volkshilfe.