Umdenken in Widerstands-Hochburg. | Attentat auf Sunniten löst Schwenk aus. | Bagdad. Während des letzten Freitagsgebetes in der Widerstandshochburg Ramadi forderte Shaikh Hazim al-A'raji seine Gläubige in der Mosche neben dem Schrein des berühmten Imam Musa al-Kadhim auf, gegen den Terroristen Musab al-Zarqawi zu kämpfen. Er wiederholte es, damit es keine Missverständnisse geben soll. Das hat schon den Charakter einer Fatwa, eines religiösen Erlasses.
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Der Al-Kaida-Führer im Irak ging offensichtlich zu weit, als er vor wenigen Wochen in Ramadi durch einen seiner Selbstmordattentäter 42 sunnitische Rekruten aus der Stadt töten ließ. Wie die in London erscheinende arabische Zeitung "Al-Hayat" (Das Leben) berichtet, gab es danach eine große Versammlung der sunnitischen Stämme. Der große Rat beschloss, Zarqawi aus dem Irak zu vertreiben. Sie erklärten ihn zum Terroristen. Vorher war der Jordanier einer von ihnen, ein Widerständler im Irak.
Sheikh Osama al-Jedaan, der Führer des al-KarabilaStammes in Qa'im an der Grenze zu Syrien, sagte, dass die Stammesversammlung in der Provinz Anbar beschloss, eine Militäraktion gegen die Terroristen zu starten. Speziell will ihre "eigene Regierung", damit meint er die der Sunniten in Ramadi, Ausländer, Eindringlinge und Störenfriede aus anderen Staaten der Region bekämpfen. Sechs bewaffnete Gruppen die dem "Irakischen Widerstand" unterstehen, haben der Terrororganisation von Musab al-Zarqawi den Krieg erklärt, schreibt die Zeitung "Al Hayat".
Ein sunnitischer Religionsführer sagt "Al Hayat", dass die Gruppen, die die sunnitischen Provinzen zerstören, Terroristen und Takfiris sind. Takfiri ist die Bezeichnung für die fanatischsten islamischen Fundamentalisten im Land.
Absage an Bürgerkrieg
"Das alles hat nichts damit zu tun, dass der irakische Widerstand die amerikanischen Besatzer aus dem Land jagen möchte. Aber das Ermorden von Sunniten und Polizeirekruten wird nicht länger hingenommen", sagt der Scheich. Außerdem akzeptiert die Stammesversammlung nicht, dass Iraker von Terroristen getötet werden, nur weil sie Schiiten sind. Al-Zarqawi hat immer in seinen Botschaften betont, dass er die Schiiten bekämpfen will und ein Bürgerkrieg im Irak sein Ziel ist.
Ein Scheich des sunnitischen al Dulaimi-Stammes in Ramadi erklärte, dass viele Bewohner der Stadt lange Zeit die arabischen Kämpfer aus dem Ausland logistisch unterstützt und beherbergt hätten, ohne ihre wirklichen Ziele zu verstehen, nämlich dass diese nicht nur gegen die verhassten Amerikaner kämpfen, sondern auch einen Religionskrieg zwischen den Sunniten und den Schiiten im Irak provozieren wollen. Das wird in der Widerstandshochburg Ramadi offensichtlich nicht mehr akzeptiert.
Unterstützung bekommen die Clan-Chefs aus der Stadt Samara, die auch im sunnitischen Dreieck liegt. Der führende Al Bubaz Stamm sagt, seine Stadt ist viel ruhiger geworden, seit sie die ausländischen Terroristen hinaus geworfen hätten. Dies hätten die führenden sieben Stämme der Region vor einigen Wochen beschlossen. Zwar haben Angriffe gegen die US-Streitkräfte in Samara und Tikrit nicht abgenommen. Die Opfer unter den Iraker sollen jedoch zurückgegangen sein.
Signal der Exit-Strategie
Wenn die Stammesversammlung in der Provinz Anbar diesen Beschluss umsetzt, ist dies auch eine Fortsetzung der Vereinbarung, die sie offensichtlich mit Premier Minister Ibrahim Jaafari, dem US-Botschafter Zalmay Khalilzad und General George Casey vereinbart hatten. Zug um Zug werden sich demnach die US-Streitkräfte und die regulären irakischen Truppen aus der Provinz Anbar zurückziehen. Die Sicherheit soll an Soldaten und Polizisten übertragen werden, die ausschließlich aus der Gegend kommen. Das Kommando soll auch überwiegend in der Region bleiben und eine gewisse Autonomie bekommen.
Damit entsteht zwar de facto ein Staat im Staat, aber Experten sehen darin die erste Stufe der amerikanischen "Exit Strategie", der Reduzierung der Truppen im Irak. Und die Messlatte wird das sunnitische Dreieck sein. Vor wenigen Tagen wurde von den USA die Sicherheitsaufgaben in der Provinz Ninive mit der Stadt Mossul, die auch eine der sunnitischen Widerstandsbrennpunkte ist, an die Iraker übergeben.
Wie jedoch die Übergabe der Sicherheitshoheit von den Amerikaner an die irakische Armee vonstatten geht, zeigt das Beispiel Tikrit: Die US-Streitkräfte hatten Saddam Husseins großer Palast in seiner Heimatstadt nach dem Krieg zur Kommandozentrale umgebaut. Nachdem der moderne große Stützpunkt vor wenigen Wochen feierlich in Anwesenheit des US-Botschafters an die Iraker übergeben wurde, plünderten die neuen Hausherren erst einmal drei Tage lang die gesamte Anlage und nahmen alles mit was nicht niet- und nagelfest war. Die modernen Generatoren, Klimaanlagen und Küchen stehen jetzt in den Privathäusern der Offiziere der neuen irakischen Armee.