"Eurabia" fungiert als Schreckensvision. | Von Hooligans bis zu Parlamentariern.
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Wien. Einst hat er laut eigenen Angaben SPD gewählt, begann dann aber über die Widersprüche zwischen der von Eltern und Schule anerzogenen linken Gesinnung und den "vielen gesellschaftlichen Problemen" nachzudenken. "Und als am 11. September 2001 in New York die Zwillingstürme fielen, war der Damm gebrochen", schreibt "Frank Furter", einer der eifrigsten Blogger auf "Politically Incorrect" (PI), der wohl bekanntesten Online-Plattform der Islamfeinde im deutschen Sprachraum.
Nach 9/11, wie das Kürzel für den 11. September in englischer Schreibweise heißt, habe er einen Koran gekauft, im Internet nach Quellen gesucht, immer auf der Suche nach der Frage "Woher kommt der Hass?" So wie "Frank Furter", der in diesem Artikel Distanz zum norwegischen Attentäter Anders Behring Breivik herzustellen versucht, ging es vielen - 9/11 hat den Blick des Westens auf den Islam nachhaltig verändert.
Seither beschäftigt sich die Wissenschaft verstärkt mit dem Thema. So wurde etwa am seit 1886 bestehenden Wiener Uni-Institut für Orientalistik, das sich bis dahin mit Arabistik, altorientalischer Philologie und Archäologie sowie Turkologie beschäftigte, erst 2003 ein Lehrstuhl für Islamwissenschaften geschaffen. Und Historiker, Orientalisten und Publizisten, die sich schon länger mit dem Thema auseinandersetzten, erlebten eine Blütezeit - vor allem jene, die dem Islam kritisch gegenüberstehen.
Die Gründe für die Ablehnung sind variantenreich - sie reichen von feministischen oder atheistischen Standpunkten über die Verteidigung einer säkular-demokratischen Gesellschaft bis hin zu skurrilen Verschwörungstheorien. So hat etwa die britische Historikerin Gisele Littman, die unter dem Namen Bat Ye’or publiziert, die Behauptung aufgestellt, Frankreichs Präsident Charles de Gaulle hätte eine strategische Allianz mit den arabischen Staaten bilden wollen, und zu diesem Zweck hätte die damalige Europäische Gemeinschaft sowohl einer gemeinsamen negativen Sicht auf die USA und Israel als auch der Einwanderung von Muslimen zugestimmt.
Diese sogenannte "Eurabia"-These wurde vom Terroristen Breivik ausgiebig in seinem 1500-Seiten-Manifest zitiert. Kennengelernt hat er sie offenbar durch einen norwegischen Blogger mit dem Pseudonym "Fjordman". Dieser, Breiviks bevorzugter "zeitgenössischer Autor", outete sich nach den Anschlägen mit 77 Toten als der 36-jährige Peder Jensen und meinte, er werde nicht mehr unter diesem Pseudonym veröffentlichen, weil er nicht mit dem "Monster" Breivik assoziiert werden wolle.
Das will freilich keine der vielen, meist vor allem im Internet präsenten Gruppen und Einzelpersonen. Breiviks Tat wird fast durchwegs als Tat eines Wahnsinnigen dargestellt, die wenigsten sehen sich, wie der eingangs zitierte "Frank Furter", zum Aufruf bemüßigt, den eigenen Ton zu mäßigen. Stattdessen wird nicht selten die Meinung vertreten, dass "die westlichen Verteidiger des Islam (...) die wahren Verantwortlichen für das Norwegen-Massaker" sind. Solche Meinungen waren sogar aus rechtpopulistischen Parteien wie der Lega Nord zu hören, in diesem Fall stammt das Zitat von dem eifrigen Blogger "Michael Mannheimer".
"Greift zu den Waffen!"
In "politisch inkorrekten Gedanken" meint er, dass das Norwegen-Massaker "den vermutlichen Auftakt eines beginnenden Bürgerkriegs indigener Europäer zur Verteidigung ihres Kontinents" gebildet hat. In einem Kommentar eines Lesers dazu heißt es: "Bei Breivik war die Schmerzgrenze bereits erreicht und die Folgen sind brutal, aber dennoch nachvollziehbar!"
"Mannheimer" selbst hat bereits im April dieses Jahres einen "Aufruf zum Widerstand" gestartet, in dem er unter Berufung auf das Grundgesetz die "Bürger Deutschlands" zum Kampf gegen das "Establishment" auffordert: "Greift zu den Waffen, wenn es keine anderen Mittel gibt!" Auch er beschreibt in einem Gespräch mit dem Magazin "Stern" den 11. September als "Erweckungserlebnis".
Mannheimer und PI-Gründer Stefan Herre kennen sich laut "Stern" persönlich und schätzen einander. Herre, ein braungebrannter 45-jähriger Sportlehrer, hat seinen Weblog im Jahr 2004 gegründet, um den Irak-Krieg von George W. Bush zu unterstützen. Heute noch finden sich auf der PI-Homepage die Schlagworte "proamerikanisch" und "proisraelisch". Am wichtigsten ist nach der Debatte um die dänischen Mohammed-Karikaturen, die PI ins Netz stellte, aber mittlerweile der Aspekt "Gegen die Islamisierung Europas" geworden. Man richte sich gegen eine Ideologie, nicht aber gegen die Moslems, wird immer wieder betont, auch wenn die geposteten Reaktionen oft anderes vermuten lassen, man sei im Gegensatz zu neo-nazistischen Gruppen nicht rassistisch.
Der englische Zweig
Dies darf auch ein Vertreter der "English Defence League" (EDL) auf PI beteuern, der angibt, selbst von brauner Hautfarbe zu sein - man sei eine Anti-Nazi- und Anti-Rassismusgruppierung, die rechtsextremen Konkurrenten von National Front und British National Party (BNP) werden als "rassistische Idioten" beschimpft. Nicht nur Bilder von EDL-Aufmärschen gegen Moscheen, auf denen nur weiße Gesichter zu sehen sind, sprechen allerdings eine andere Sprache. Der ursprüngliche EDL-Gründer Paul Ray habe sich, so ist auf seiner Homepage zu lesen, zum Verlassen der Gruppe "wegen ihrer Verbindungen zu rassistischen und politischen Gruppen und Fußball-Hooligans, die die Kernmehrheit der EDL-Mitglieder ausmachen", entschlossen. Tatsächlich ist die EDL seit der Entstehung eng mit der militanten Hooligan-Szene verknüpft, was wohl die Gewaltbereitschaft bei ihren Demonstrationen miterklärt. Ihr heutiger Führer, Stephen Yaxley-Lennon, der auch unter dem Alias Tommy Robinson firmiert, wurde im Juli zu einjährigen Resozialisierungsmaßnahmen, 150 Stunden unbezahlter Arbeit und einer dreijährigen Sperre für Fußballplätze und Demonstrationen verurteilt. Der Grund: Der mehrfach Vorbestrafte hatte im Jahr zuvor Hooligans des Klubs Luton Town gegen Anhänger von Newport in eine Straßenschlacht geführt. Am vorigen Samstag verletzte er die Auflagen, als er an einer Demonstration in London teilnahm.
Als Ray die EDL 2009 verließ, soll es Versuche der BNP zu ihrer Unterwanderung gegeben haben. Auch Lennon war angeblich Mitglied der BNP. Auf die Distanzierung der EDL von der BNP soll indes insbesondere der Millionär Alan Lake Wert gelegt haben. Für Ray ist Lake, der als EDL-Finanzier gilt, allerdings selbst ein Beispiel für den Rechtsextremismus der Bewegung. Belegen lässt sich dies durch Blog-Einträge, in denen Lake der englischen Regierung die Verbannung in "islamische Enklaven" wünschte, in denen sie "exekutiert oder zu Tode gefoltert" werden würden. Außerdem sagte er einem norwegischen TV-Sender, dass er glücklich wäre, wenn die Muslime, die für die Einführung der Scharia in Großbritannien demonstrierten, exekutiert würden.
Die Kreuzzügler
Mit dem Norweger Breivik will Lake aber selbstverständlich nichts zu tun gehabt haben, auch wenn dieser die EDL immer wieder lobend erwähnt. Jeden Kontakt streitet auch Paul Ray ab, der allerdings einen unleugbaren Bezugspunkt zu Breivik hat. Der Blog des fundamentalen Christen, wie er sich selbst sieht, firmiert unter dem Namen "Lionheart of England", benannt nach jenem Richard Löwenherz, der im späten 12. Jahrhundert den Dritten Kreuzzug anführte. Als Symbol benutzt er, ebenso wie die EDL, das Georgskreuz, das die Flagge Englands bildet, in einer Abwandlung, die stark an das Kreuz der Tempelritter erinnert - das wiederum Breivik auf die erste Seite seines Manifests setzte. Der Norweger zählte sich ja selbst zu den Neugründern des Templerordens, der mit dem Ersten Kreuzzug entstanden war.
Den Bezug zu den christlichen Befreiungsversuchen Jerusalems hat schon George W. Bush hergestellt: Am 17. September 2001, wenige Tage nach den Anschlägen, kündigte der damalige US-Präsident einen "Kreuzzug gegen den Terror" an. Seine Berater brachten ihn mit einiger Verspätung dazu, von diesem Terminus abzurücken, weil er in der islamischen Welt mit eben jenem mittelalterlichen Krieg des Christentums gegen den Islam verbunden sei. Bush hat zwar nie von einem Krieg gegen eine Religion gesprochen, der Schaden war aber angerichtet. Militante Islamisten verwendeten das Wort zum "Kampf gegen die Kreuzritter" im Westen, christlich fundierte rechte Gruppen griffen den Kreuzzug als Synonym für ihren Kampf gegen den Islam auf.
Bei den muslimischen Amerikanern, die weniger als ein Prozent der US-Gesamtbevölkerung stellen, stößt islamistische Propaganda übrigens auf wenig Gegenliebe: Laut einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Umfrage glaubt nur ein Prozent der US-Moslems, die zu zwei Drittel Einwanderer der ersten Generation sind, dass Selbstmordattentate oder Gewalt gegen Zivilisten häufig zur Verteidigung des Islam gerechtfertigt sein könnten; 81 Prozent lehnen dies vollkommen ab.
Zufriedene US-Muslime
82 Prozent der muslimischen Bürger sind zufrieden mit ihrem Leben in den USA - allerdings ist die Zahl derer, die sich im Alltag benachteiligt fühlen, leicht gestiegen.
Dies ist wohl auf die erst mit einiger Verspätung nach 9/11 geänderte Sicht der nicht-muslimischen Amerikaner auf ihre Mitbürger zurückzuführen, die in den letzten Jahren negativer geworden ist: Wie eine Umfrage desselben Instituts ergab, ist die Zahl jener, die dem Islam wohlwollend gegenüberstehen, von 41 Prozent im Jahr 2005 auf 30 Prozent im August 2010 gesunken. Gestiegen ist vor allem die Zahl jener, die nicht genau wissen, was sie von der Religion halten sollen.
Diese Umfrage wurde zu einer Zeit durchgeführt, als vor allem die weit rechts stehende Tea Party mit ihren Falschmeldungen über die Religionszugehörigkeit von Präsident Barack Obama einigen Erfolg gehabt hatte. Im August 2010 war die Zahl jener, die ihn für einen Muslim hielten, gegenüber dem Vorjahr um sieben Prozentpunkte auf 18 Prozent gestiegen. Und im selben Sommer war auch der Höhepunkt der Diskussion um die Moschee, die nahe den 2001 gefällten Twin Towers entstehen soll. Die Mehrheit der US-Amerikaner ist dagegen, dass der Bau genehmigt wird.
Dies ist zu einem guten Teil auf jene Blogger zurückzuführen, die im Internet ebenso wie ihre europäischen Kollegen gegen den Islam hetzen. Ihre prominentesten Köpfe heißen Pamela Geller und Robert Spencer. Spencer gründete schon 2003 einen Blog namens "JihadWatch", um 2007 gewann auch Geller als Bloggerin Popularität. Zusammen gründeten sie "Stop the Islamization of America" (SIOA), analog zum europäischen Pendant SIOE, das vom dänischen Fleischhauer Anders Gravers, gleichfalls ein Verfechter des "Eurabia"-Mythos, gegründet wurde.
2010 trommelte vor allem Geller monatelang gegen den Bau eines islamischen Gemeindezentrums zwei Blocks vom "Ground Zero" entfernt, wo einst das World Trade Center stand - mit Erfolg: Die Errichtung des "Cordoba-Hauses", später in "Park51" umbenannt, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.
Pamela Geller hatte ihren ersten großen Triumph zu verzeichnen, zog sie doch die Tea Party und große Teile der Republikaner auf ihre Seite und pflanzte anti-islamisches Gedankengut in die Köpfe. Für die erwähnte "Eurabia"-Erfinderin Bat Ye’or ist sie "eine wahre Kämpferin für die Freiheit", für den Niederländer Geert Wilders "eine Heldin", steht auf Gellers Homepage zu lesen.
Wilders, einsamer Star
Wilders, der am 11. September vergangenen Jahres bei der SIOA-Protestveranstaltung gegen die sogenannte Ground-Zero-Moschee der Hauptredner war, ist seinerseits der unbestrittene Star der islamfeindlichen Szene. Er vergleicht den Koran, den er in den Niederlanden verbieten lassen will, mit Adolf Hitlers "Mein Kampf" und hat zu diesem Thema den umstrittenen Kurzfilm "Fitna" (in etwa Zwietracht, Heimsuchung) 2008 im Internet veröffentlicht. In Breiviks Manifest wird er als "einziger echter Konservativer in Europa" bezeichnet.
Zuvor in der rechtsliberalen "Volkspartei für Freiheit und Demokratie" (VVD) tätig, wurde Wilders 2006 mit seiner Neugründung "Partei für die Freiheit" auf Anhieb fünftstärkste Kraft im Parlament. Dort warnte er schon 2007 vor "Eurabia". Bei den Wahlen 2010 landete seine Partei auf dem dritten Platz, die Minderheitsregierung von VVD und Christdemokraten ist auf seine Duldung angewiesen.
Der politische Erfolg macht ihn auch für andere rechtspopulistische Parteien in Europa attraktiv. Mit dem schweizerischen SVP-Nationalrat und Minarettgegner Oskar Freysinger und dem aus der CDU ausgeschlossenen René Stadtkewitz bestehen bereits enge Verbindungen. Mit der FPÖ oder dem belgischen Vlaams Belang, bei dem Freysinger schon als Redner auftrat, will Wilders hingegen nichts zu tun haben, auch wenn es von Seiten dieser Parteien durchaus Avancen in Richtung des Niederländers gab. Gemeinsame Positionen gäbe es durchaus, etwa zu Moscheen oder dem Burka-Verbot.
Von einer politischen Einigung ist die politische Anti-Islam-Szene also noch entfernt. Die von Wilders inspirierte Partei "Die Freiheit" von Stadtkewicz tritt etwa bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September gegen "Pro Deutschland" an. Diese ist das Sammelbecken für Wählergemeinschaften, die aus der "Bürgerbewegung pro Köln" und der mit ihr eng verflochtenen "Pro NRW" hervorgegangen sind. Die in Nordrhein-Westfalen ansässigen Bewegungen, zu denen auch die FPÖ gute Kontakte unterhält, wurden von Personen aus dem Umfeld der rechtsextremen NPD und der Republikaner gegründet.
"Politically Incorrect" hat sich jedenfalls auf die Seite der "Freiheit" gestellt, haben sich doch einige prominente Blogger dieser Partei angeschlossen. Eine Kritik auf PI, dass für die Wahlveranstaltung mit Wilders, Freysinger und Spencer am 3. September Eintrittspreise von 100 Euro verlangt wurden, wurde in die Nähe von "Hochverrat" gerückt. Bei der Veranstaltung waren schließlich längst nicht alle Plätze gefüllt.
Beliebter Sarrazin
Wenn es gegen den Islam geht, herrscht allerdings Einigkeit. Bei den Leserkommentaren fällt auf, dass viele Postings von eigenen negativen Erfahrungen mit Migranten, im Fall von Deutschland mit Türken, berichten. Reale oder empfundene Probleme der Integration werden so zu Argumenten gegen den Islam gewendet. Darauf ist ja auch der Erfolg von Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" zurückzuführen, das man in diesen Kreisen bejubelt hat, auch wenn man sich über Sarrazins aktuelle Distanzierungen von der islamfeindlichen Szene ungehalten zeigt.
Beiden Konkurrenzparteien wird übrigens in Berlin das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde vorausgesagt. Auch die britsche EDL beeindruckt weniger durch ihre zahlenmäßige Stärke als durch ihr rabiates Auftreten. Sarrazins Verkaufsschlager zeigt allerdings ebenso wie das Burka-Verbot, das in Frankreich und Belgien von den regierenden konservativen Parteien eingeführt wurde, wie weit der Einfluss islamkritischer Positionen schon in die "normale" Politik und in die Gesellschaft hineinreicht.