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Leere Kassen haben 1707 zur Vereinigung der Erbfeinde Schottland und England geführt - unser Blatt berichtete damals.
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Eine kleine, aber aussagekräftige Meldung in der Ausgabe mit der Datumszeile Wienn / vom 19. biß 21. May / 1706 bot Einblick. Auß Engelland vom 4. May wurde nämlich berichtet, es wären die Commissarien wegen Vereinigung Engell- und Schottland öffters zusammen kommen. Ein gewisser Alexander Selkirk erfuhr von all dem keine Silbe; ihm stand weder das zitierte "Wiennerische Diarium" - so der frühere Name unseres Blattes - noch eine andere große europäische Gazette zur Verfügung.
Der schottische Matrose, der als Roman-Held Robinson Crusoe Literaturhistorie machen sollte, war 1706 von der Außenwelt abgeschnitten. Zwei Jahre zuvor hatte ihn sein Kapitän auf einer weit vor Chiles Küste gelegenen, menschenleeren Insel der Juan-Fernández-Gruppe ausgesetzt. Als 1709 endlich ein Schiff den armen Mann aufnahm, war das Schicksal von Selkirks Heimatland bereits besiegelt - es hatte seine Eigenstaatlichkeit verloren und bildete einen Teil eines neuen, vereinten Königreiches.
Halb erzwungen und halb freiwillig kam es zur Union England-Schottland. Im Übrigen war es keine ausgemachte Sache, dass die Schotten binnen zwölf Monaten mit den Engländern in einem Einheitsstaat aufgehen würden. Die Dinge lagen alles andere als einfach. Nicht allein schottischer Selbstbehauptungswille und Stolz schienen die Union zu gefährden, auch in England mehrten sich die Bedenken gegen eine rasche Vereinigung - ausgerechnet in London, das seit Jahrhunderten diese Lösung angepeilt hatte.
Es war die Angst vor der eigenen Courage, die manche führenden Kräfte in England plötzlich bremste. Das wirtschaftlich zurückgebliebene Schottland brauchte den Zugang zu den englischen Märkten, vor allem zu den Kolonien. Nur auf diese Weise schien ein ökonomischer Aufschwung realistisch. Das wussten im Norden der britischen Hauptinsel sowohl die Adeligen als auch die Kaufleute und Handwerker. Und im Süden der Insel fürchtete man mit einem Mal, der Preis - wirtschaftliche Zugeständnisse - für die schottische Braut könnte zu hoch ausfallen.
Doch allein die ökonomischen Schwierigkeiten ins Auge zu fassen, wäre oberflächlich. Ein Riesenbündel von Widersprüchen hatte sich über Epochen angesammelt. Blutige Fehden der Schotten mit dem südlichen Nachbarn hatten erst 1328 den englischen Verzicht auf die Lehnsherrschaft über das Land gebracht. England schielte freilich weiter auf das Königreich im Norden, das im 16. Jahrhundert einer Zerreißprobe ausgesetzt war: Unter dem bedeutenden Reformator John Knox (ca. 1505-1572), der 1555 nach längerem Aufenthalt bei Calvin in Genf wieder heimgekommen war, fielen die meisten Schotten vom Katholizismus ab. Die 1561 aus Frankreich zurückgekehrte und zur Herrschaft gelangte Königin Maria Stuart (1542-1587) wollte dies nicht anerkennen. Die Ereignisse überstürzten sich.
Die Monarchin, die auch Ansprüche auf den englischen Thron stellte, musste dem aufgebrachten protestantischen Adel weichen. Sie dankte zugunsten ihres Sohnes Jakob VI. (1566-1625) ab und floh nach England, dessen Königin Elisabeth I. sie gefangen nehmen und 18 Jahre später hinrichten ließ. Nach Elisabeths Tod 1603 wurde Jakob VI. als Jakob I. auch englischer König. Die Personalunion Schottland-England begann. Vor 300 Jahren regierte Königin Anna (1665-1714, im Amt ab 1702) als letzte, nicht sehr mächtige Stuart-Herrscherin. Das (von ca. zwei Prozent der Bevölkerung gewählte) Parlament besaß viel Einfluss; die starke Whig-Partei setzte im Gegensatz zu den Tories auf die Union mit Schottland. Bald floss Geld an das dortige Parlament. Wahrscheinlich gab das den Ausschlag für die Vereinigung 1707.